Wildes Erwachen
die rote Umlaufmappe, die er vor sich liegen hatte, entnahm ihr zwei Blätter und schob sie kommentarlos Kral zu.
Eva hatte die Lage richtig eingeschätzt: Leber und Zwiebeln verschwanden in Tuppertöpfen, um später aufgewärmt zu werden.
Kral hatte einen Einsatzbefehl der Staatspolizei Eger und eine Lageskizze vor sich. Er vertiefte sich zunächst in das Schreiben, das ihm zeigte, dass der Einsatz auf dem Gelände der Tosta ablaufen würde. Die eingesetzten Kräfte und ihr Funkrufname wurden benannt, dann folgte, mit Uhrzeiten versehen, die Beschreibung der einzelnen Aktionen.
Nachdem er mit dem Lesen fertig war, wandte er sich an Brückner: »Und ihr habt abgeklärt, wer da drin ist?«
»Klar!« Der Angesprochene fischte sich den Plan und zeigte mit dem Finger auf ein Gebäude. »Hier in dem Bürokomplex hat die Firma ›Rychlé služby, spol. s.r.o.‹ im Erdgeschoss Räume gemietet.«
»›Schnelle Dienste‹! Wohl nicht ganz treffend, ›Liegende Dienste‹ wäre besser«, lachte Kral.
Brückner hatte keinen Nerv für Späße und fuhr fort: »Wir wissen inzwischen, dass die Firma immer wieder Arbeitsgenehmigungen für Frauen aus dem Osten beantragt. Außerdem haben unsere Abhörspezialisten ein bisschen gelauscht: Da halten sich zurzeit mindestens zwei Männer und etwa fünf Frauen auf. Wir müssen davon ausgehen, dass die Burschen bewaffnet sind.«
Kral wandte sich wieder der Einsatzplanung zu: »Das Ablenkungsmanöver mit dem Brand und der Explosion im Nebengebäude ist einfach genial«, stellte er fest, »wer hat sich das denn ausgedacht?«
»Aneta«, in Brückners Stimme lag der Stolz des wohlwollenden Förderers, »und ich sage dir eins, das Mädchen wird eines Tages bei uns in der Direktion auf dem Chefsessel sitzen.«
Er stand auf und verabschiedete sich unter Hinweis auf die noch ausstehende Einsatzbesprechung hastig. Unten an der Haustür richtete er seinen Blick noch einmal nach oben: »Fast hätte ich’s vergessen! Wenn du dabei sein willst, dann kreuz so gegen halb sechs beim Kollegen Svoboda in der Wache auf, der wird dich dann einweisen.«
7
Keine Frage für Kral, er musste dabei sein, sich Klarheit verschaffen, was mit Svetlana geschehen war. Schließlich war er es, der sie in diese bedrohliche Lage gebracht hatte.
Svoboda, klein, rundlich, Glatze und stets ein Lachen oder Grinsen im Gesicht, begrüßte ihn wie einen guten Bekannten. Dann die Frage: »Kaffee?«
Kral nickte, obwohl er wusste, dass starker Kaffee seine ohnehin schon vorhandene innere Unruhe noch verstärken würde. Svoboda setzte die Bestellung mit einem lauten Brüller in das Nebenzimmer ab, wo sich eine »Katerina«, wohl die Kaffeeköchin, aufhalten musste. Dann trat er an einen Büroschrank, schob die Rolltür nach oben und holte eine Flasche samt zwei Schnapsgläsern aus dem Regal. Kral gab zwar mit einer Handbewegung zu verstehen: »Für mich nicht!«, was den Polizeichef aber überhaupt nicht störte. Er füllte die beiden Gläser bis zum Rand.
»Beruhigt die Nerven!«, meinte er und prostete Kral zu. Der roch kurz an dem Glas und stellte fest, dass ihm ein Cognac kredenzt worden war. Er mochte das Zeug zwar nicht, leerte das Glas aber wie Svoboda in einem Zug. Zum Glück drängte der ihm keinen Nachschlag auf.
Nachdem der Polizeichef sich in seinen Bürosessel hatte plumpsen lassen, deutete er auf die Uhr über der Tür zum Nebenzimmer.
»Eine halbe Stunde haben wir noch«, stellte er fest, verschränkte seine Arme und sah Kral mit seinem Lausbubengrinsen an. »Was erzählt man sich denn in Selb so über den Sündenpfuhl Aš?«, begann er zur Überbrückung der Wartezeit.
Blöder kannst du wohl nicht fragen, du Heini! Weiß der Teufel, was du von mir hören willst!, dachte Kral und entschied sich für ein unverbindliches: »Ooch, nichts Besonderes!«
Und schon wurde ihm klar, dass sein Gegenüber überhaupt nicht auf einen differenzierten Stimmungsbericht aus war, sondern selbst eine heitere Anekdote anbringen wollte.
»Sollten Sie kennen, ist übrigens auch schon mal einem Selber passiert«, begann er, »wir haben hier eine neue Variante der ›Beischlaffolgeschäden‹, wie das Brückner gerne nennt: Der Herr, der einer Dame in ihre Wohnung gefolgt ist, wird gebeten, sich vor dem Geschlechtsverkehr im Badezimmer zu waschen. Er zieht sich bis auf Unterhemd und -hose aus, um dann das Kabinett zu betreten. Nun wird mit großem Getöse die Wohnungstür geöffnet. Der eifersüchtige Ehemann stürzt sich
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