Wildes Erwachen
deutschen Seite in Bad Elster. »Und jetzt pass gut auf!«, fügte er feixend hinzu, »wenn die Bullenbande im Anmarsch nach Doubrava ist, müssen sie durch Podhradí. Und dort sitzt ein zuverlässiger Mann, der uns das sofort meldet. Wir haben dann noch gut zehn Minuten Zeit, um uns vom Acker zu machen.«
Sie heuchelte Anerkennung: »Toll, wie du dir das so alles ausdenkst!«
»Nicht der Rede wert! Gehört zum Job«, lächelte er kurz, um dann sofort niedergedrückt dreinzublicken. »Es tut mir wirklich leid, Schätzchen«, fuhr er fort, »aber ich muss noch mal dringend rüber nach Cheb. Du kannst mir glauben, lieber würde ich hier bei dir bleiben.«
Sein Augenzwinkern ließ die Deutung zu, dass er im Falle seines Bleibens durchaus nichts gegen ein Schäferstündchen einzuwenden gehabt hätte. Auch Renata fiel nicht aus ihrer Rolle, indem sie mit einem entzückenden Schmollmund ein enttäuschtes »Oooch!« produzierte.
Also: Das Kaff heißt Doubrava und liegt ziemlich nahe an der deutschen Grenze. Sie blickte aus dem Fenster des ehemaligen Bauernhäuschens. Zweifellos ein gutes Versteck, ziemlich weit vom Ortskern entfernt, die Zufahrt über den schmalen Feldweg, kaum einsehbar für die anderen Dorfbewohner.
Das Anwesen war wohl lange nicht bewohnt gewesen, entsprechend war der Zustand: Die Holzscheune, der Gartenzaun ziemlich runtergekommen, der kleine Garten vor dem Haus völlig verwildert. Das ehemalige Wohnzimmer, das man ihr als Bleibe zugedacht hatte, war weitgehend ausgeräumt. Geblieben waren ein Tisch mit einer verstaubten Wachstischdecke, zwei Stühle, Gardinen vor den beiden Fenstern, die vor Dreck starrten, und schließlich ein Kanonenofen, der allerdings reichlich Wärme spendete. Die Campingliege, auf der eine schäbige karierte Decke lag, sollte wohl ihr Schlafplatz sein.
Von nebenan, da musste wohl die Küche sein, hörte sie klappernde Geräusche und Stimmen. Klar, Michail hatte sie nicht ohne Bewachung zurücklassen, denn sie war zum unkalkulierbaren Risiko geworden, nachdem sie die Aktion in Cheb vergeigt hatte. Das waren sicher die falschen Polizisten, die sie aus der Zelle geholt hatten. Einer von ihnen hatte bei der Übergabe auch ihre Handtasche in Empfang genommen, die jetzt auf dem Tisch lag.
Das Handy! Der Gedanke versetzt sie in Erregung. Es müsste eigentlich in der Tasche sein. Hektisch durchwühlte sie den Beutel. Schließlich lag der gesamte Inhalt auf dem Tisch, aber kein Handy! Wieder und wieder griff sie in alle Innen- und Außenfächer, aber das verdammte Ding blieb verschwunden. Außerdem fehlte die Brieftasche, in der sie ihre Ausweispapiere, ihr Geld und ihre Karten aufbewahrte.
Leise erhob sie sich und schlich zur Tür. Ganz vorsichtig drückte sie Klinke herunter und versuchte, die Tür einen Spalt zu öffnen: Mist, die Kerle haben ganze Arbeit geleistet.
Panik erfasste sie: Er traute ihr nicht mehr. Da hatte ihr wohl auch ihre Schauspielerei nichts geholfen. Sie versuchte, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen, sich in ihn hineinzuversetzen: Was sollte sie ihm noch bringen? Hatte sie überhaupt noch irgendwelche Trümpfe in der Hand? Die Bilanz konnte niederschmetternder nicht sein: Sie war zur Bedrohung für sein Geschäft geworden und da gab es in dem Milieu keine Schuldfrage, kein Sammeln von Entlastungsmaterial, nicht einmal leidenschaftlich gehauchte Liebesschwüre hatten da noch irgendeine Wirkung! »Gehört zum Job«, hatte er gerade noch gesagt!
Die Einladung der Deutsch-Tschechischen Gesellschaft Bayreuth zu einem Gespräch zur Vortragsplanung passte Kral eigentlich nicht so recht in den Kram, denn Schule und GPZ zusammen bedeuteten doch einen erheblichen Zeitaufwand. Aber er konnte schlecht ablehnen, denn er war Mitglied des Vereins und hatte zugesichert, dass er gern den einen oder anderen Vortrag über das Nachbarland halten würde. Außerdem machte ihm die Zusammenarbeit mit dieser Truppe großen Spaß, denn die Leute waren sehr engagiert in Richtung deutsch-tschechischer Verständigung unterwegs. Das Gespräch sollte im Bayreuther Operncafé stattfinden. Er sollte dort mit Frau Kučera, der in Tschechien geborenen Vorsitzenden des Vereins, und ihrem Vertreter, Herrn Hörl, zusammentreffen.
Er war etwas früh dran, weil er überraschend schnell einen Parkplatz in direkter Nähe des Lokals gefunden hatte. Von Selb her eigentlich nur biedere Kleinstadtcafés gewöhnt, war Kral doch von den Socken, als er das ehemalige Redoutenhaus direkt neben
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