Wildes Erwachen
Staunen. Langsam erhob sie sich und ihre Hände streckten sich zögernd der Besucherin entgegen.
»Svetlana?«, fragte sie mit leiser, zitternder Stimme. Die Angesprochene nahm sie in ihre Arme, streichelte ihr sanft über das Haar und sprach beruhigend auf sie ein. Als die beiden sich am Tisch gegenübersaßen, umfasste Svetlana die Hände der jungen Frau. Diese Geste und Worte der Ermunterung taten ihre Wirkung: Mit dem Handrücken wischte sie sich unbeholfen die Tränen von den Wangen, ab und an huschte ein Lächeln über das mädchenhafte Gesicht und schließlich begann sie zu sprechen, zwar stockend, weil sie immer wieder weinen musste, jetzt allerdings vor Freude.
»Zu leise, ich kann leider nicht alles verstehen«, wandte sich die Dolmetscherin an Brückner.
»Macht nichts!«, reagierte der, »wir werden’s schon noch früh genug erfahren. Also, die kennen sich, das ist schon mal sicher. Wir warten noch einen Moment, dann gehen Sie mit meiner Kollegin rein. Kral und ich hören uns dann mal an, was die Petrov so erfahren hat.«
Als Svetlana den Beobachtungsraum betrat, steuerte sie zunächst auf Kral zu. »Hallo, Mann mit machen viel Arbeit! Wie gäht?«, fragte sie augenzwinkernd. Der kurze prüfende Blick Brückners auf Kral zeigte, dass er diese Andeutung gerne geklärt sehen wollte.
»Gut! Und dir?«
»Sähr gutt! Immer gutt, wenn nicht Arbeit in Club! Ich haben viel Zeit für Lernen Deutsch und Tschechisch.«
»Dann wollen wir mal!«, unterbrach Brückner die Begrüßung der beiden und reichte Svetlana die Hand, »Ihnen ist ja bekannt, warum wir Sie geholt haben. Dann berichten Sie uns mal, was die Frau so von sich gegeben hat. Es war ja nicht zu übersehen, dass Sie sich kennen.«
»Ja, ich kenne«, begann sie ihren Bericht: Im Verhörraum saß die ukrainische Staatsbürgerin Ulyana Korinenko aus Tscherkassy. Ein Landsmann hatte sie als Reinigungskraft für die Tschechische Republik angeworben. »War vor ein Jahr mit in Club ›Blue Moon‹, aber nur zwei Monat. Viel weinen und oft krank. Nicht gut für Geschäft.« Im Klartext: Das Mädchen war nicht geeignet für den Job der Prostituierten. Über zwei weitere tschechische Clubs führte sie ihr Leidensweg nach Nürnberg, wohin sie als Heiratskandidatin vermittelt worden war. Ihr alkoholkranker Partner traktierte sie häufig mit Schlägen und bestand schließlich auf die Rückführung in die Ukraine. Als Illegale war sie, vermittelt von Frau Straková, kurz in einem Nürnberger Bordell, bis man sie nach Eger zurückholte, um sie erneut auf dem Heiratsmarkt anzubieten. »Viel kaputt bei Frau.« Zunächst deutete Svetlana auf verschiedene Körperteile, um zu zeigen, dass dem Mädchen mehrere Verletzungen zugefügt worden waren. »Und hier!« Ihr traten Tränen in die Augen, als sie die rechte Hand auf ihr Herz legte. »Was machen mit Ulyana?«, fragte sie nach einer kurzen Pause.
»Gute Frage!«, antwortete Brückner, »nach dem, was ich gehört habe, sehe ich eigentlich keinen Grund mehr, sie hier festzuhalten.«
Svetlana hatte aufmerksam zugehört und grinste jetzt schlitzohrig. »Gehen mit nach Aš!«, schlug sie vor.
»Nicht schlecht«, reagierte der Major auf Deutsch, »aber, aber und nochmal aber! Wie bringe ich das dem Svoboda bei? Wie geht es weiter mit ihr?«
»Zeugenschutz!«, schlug Kral vor. Brückner verdrehte die Augen, »dann erklär du das mal dem Staatsanwalt. Das war doch schon bei ihr«, er blickte auf Svetlana, »so eine wackelige Angelegenheit. Außerdem wird sie uns nicht viele verwertbare Informationen liefern können.«
Kral reagierte heftig: »Mein lieber Josef, wenn das dein Problem ist, dann gute Nacht! Du denkst an Informationen und da drüben sitzt eine Frau, die von skrupellosen Verbrechern zutiefst in ihrer Seele verletzt worden ist, von den körperlichen Schäden will ich mal gar nicht sprechen.«
Wie nicht anders zu erwarten verpackte Brückner seinen Vorwurf wegen der Heftigkeit des Angriffs und sein schuldbewusstes Einsehen in Dialekt: »Häier aaf! Is scha gout!« Nach einer knappen Phase des angestrengten Überlegens folgte die entschlossen vorgetragene Lösung: »Zunächst Untersuchung im Krankenhaus mit Attest, dann drücke ich sie dem Svoboda aufs Auge und wir sehen weiter. Einverstanden, Kral?«
»Einverstanden!«
»Verstanden?«, fragte er Svetlana.
»Was wichtig, ja«, antwortete sie.
Kral blickte auf die Uhr: gleich sechs. »Höchste Zeit, dass ich nach Hause komme, meine Frau macht sich sicher
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