Wildes Erwachen
Kučerová.
Die Veranstaltung hatte bereits begonnen; das Wort hatte Brückner, der allerdings tschechisch sprach, seine Kollegin übersetzte ins Deutsche. Kral war klar, dass er möglichst schnell seine Position einnehmen musste, denn ein bilaterales Meeting, gemäß internationalen Gepflogenheiten organisiert, brauchte unbedingt einen zweiten Dolmetscher. Das wurde dann auch deutlich, als er neben dem Staatssekretär Platz genommen hatte. Der lächelte zwar, die geflüsterte Botschaft konnte allerdings giftiger nicht sein: »Was bilden Sie sich eigentlich ein, Kral!« Brückners Verhalten verstimmte Wohlfahrt noch mehr, denn der Major wollte partout nicht in der Rolle des Tschechen bleiben: Wenn ihm Frau Kučerovás Übersetzung nicht präzise genug erschien, ergänzte oder korrigierte er auf Deutsch.
Kral, der zunächst noch der Meinung gewesen war, die Übersetzerei sei mit Rücksicht auf den tschechischen Oberst organisiert worden, wurde bald eines Besseren belehrt, denn auch dieser war der deutschen Sprache mächtig. Dr. Wohlfahrt war verantwortlich für diese Schaufensteraktion und Brückner versaute ihm eindeutig die Wirkung: Kalte Rache für die Abfuhr, die ihm der Staatssekretär beim letzten Zusammentreffen erteilt hatte.
Aber Dr. Wohlfahrt wäre kein guter Politiker gewesen, wenn er diese Entwicklung nicht in ein günstiges Licht gerückt hätte. Als man an der Tischreihe schließlich nur noch Deutsch sprach, musste er das natürlich kommentieren:
Die Anwesenden seien »letztendlich Zeugen dafür, wie unendlich positiv sich das Nebeneinander der beiden Völker in den paar Jahren nach der Grenzöffnung entwickelt« habe. »Sie sehen es selbst, die andere Seite geht auf uns zu und man spricht sogar unsere Sprache. Ich bin sehr dankbar für dieses Entgegenkommen und schäme mich ein bisschen, dass wir, allerdings nur rein sprachlich gesehen, nur wenig zurückgeben können. Die Bayerische Staatsregierung hat natürlich dieses Problem erkannt und, glauben Sie mir, wir werden uns mit Macht dafür einsetzen, dass sich dort, wo wir als Regierung Einfluss nehmen können, ich nenne hier als Beispiele Behörden und Schulen, eine ganze Menge hin zum Positiven verändern wird.«
Jetzt durfte sich sogar Kral im Lob des Politikers sonnen, der seinen Sprachkurs für das GPZ in den schönsten Farben als »Mut machendes Erfolgsmodell« beschrieb. Die Behauptung, die Beamten gierten geradezu danach, die Sprache des Nachbarlandes zu erlernen, schien Kral allerdings etwas zu dick aufgetragen.
Gefährlich konnte Dr. Wohlfahrt jetzt eigentlich nur noch Brückner werden, indem er den Drang vieler seiner Landsleute zur deutschen Sprache auf rein materielle Interessen zurückführte. Sein störrisches Kopfschütteln konnte das Signal für eine in diese Richtung gehende Gegenrede sein. Kral beugte sich leicht vor und suchte den Blick des Majors, um ihn zur Zurückhaltung zu bewegen. Mit Erfolg, denn ein Einspruch blieb aus.
Ansonsten brachte die Veranstaltung Kral einige Neuigkeiten: Er erfuhr, dass die tschechische Seite die Sonderkommission »Ukraine« eingerichtet hatte, um »mit aller Entschiedenheit« gegen diesen westböhmischen Menschenhändlerring vorzugehen. Sogar die Prager Generalstaatsanwaltschaft habe sich eingeschaltet, berichtete der tschechische Oberst, um über ein »tragfähiges Zeugenschutzmodell« möglichst viele betroffene Frauen zu bewegen, gegen ihre Peiniger auszusagen.
Nachdem der Staatssekretär diese Botschaft mit einigen unverbindlichen Nettigkeiten kommentiert hatte, erteilte er Schuster das Wort: Der verlor kein Wort über die Straková und das Institut Fortuna. Wenig Neues hatte er über den Mordfall Nürnberger zu sagen. Nach wie vor seien der mutmaßliche Täter, dem auch Entführung und Vergewaltigung vorgeworfen werde, und die wichtigste Belastungszeugin in einem Zustand, der Verhöre nur sehr bedingt zulasse.
Am Ende der Veranstaltung blickte Dr. Wohlfahrt außerordentlich zufrieden in die Runde, obwohl ihm Brückner die bilinguale Show versaut hatte. Aber mediengeil, wie er war, sah er auch den Vorteil: Er hatte die wunderbare Chance bekommen, sich der Presse als bekennender Verständigungspolitiker zu präsentieren. Bei seinem Abgang mussten Brückner und Kral allerdings erfahren, dass man einen bayerischen Staatssekretär weder anpinkelt noch warten lässt. Während er sich von den anderen Teilnehmern betont herzlich verabschiedete, schenkte er den beiden Sündern nur ein kurzes,
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