Wildes Erwachen
dem Markgräflichen Theater betrat: Ihn empfing ein edles, ein bisschen auf Biedermeier getrimmtes Ambiente. Aus versteckten Lautsprechern ertönten die gedämpften Klänge klassischer Musik. Ein junges, schlankes und außerordentlich hübsches Mädchen in blütenweißer Bluse empfing ihn mit artiger Höflichkeit, nahm ihm seine Winterjacke ab und geleitete ihn durch den Vorraum in einen Saal, dessen Fensterfront den Ausblick auf eine große Terrasse bot. Im Sommer war dies wahrscheinlich Treffpunkt einiger der Auserwählten, die sich hier auf die Pilgerfahrt zum Grünen Hügel einstimmten.
Der Raum war jetzt, gegen zwei Uhr, sehr spärlich besetzt. Kral bestellte gerade einen Cappuccino, als die Herrschaften der Gesellschaft den Raum betraten. Frau Kučera, wie immer stilvoll und elegant gekleidet, begrüßte Kral wortreich und zeigte sich außerordentlich erfreut darüber, dass er »bei diesem schrecklichen Wetter« die lange Fahrt auf sich genommen habe. Ihr Stellvertreter, eher der Typ des biederen Handwerkers oder Geschäftsmannes, beließ es bei einem freundlichen »Griss Gott!« und einem festen Händedruck.
Es war nicht der Stil der Grande Dame, schnell auf den Punkt zu kommen, denn sie legte vor allem Wert auf eine gepflegte Konversation. So dauerte es einige Zeit, bis man zum eigentlichen Thema gelangte. Frau Kučera wollte unbedingt die tschechische Literatur behandelt wissen, was Herrn Hörl ziemlich grimmig dreinblicken ließ. »Scheint meinem Stellvertreter gar nicht zu gefallen«, wandte sich die Vorsitzende lachend an Kral.
»Stimmt!«, nickte der nachdrücklich, »a jeder waas, dass ich groodoo bi, und des muss edzd a mol gsogd wern, mir missn aa a mol wos annersch machen wie immerzu Kuldur, zum Beischbiel a Dema aus der Werdschaft, nuch besser gfallerd mer, wenn der Herr Gral wos za demm sochert, wos er su in dem GBZ macht, do hoder doch grod davo gredd. Griminalidäd oo dera Grenzn, des is doch des, wos die Leit werklich inderessiert.«
Frau Kučera blickte mit einigem Staunen auf ihren Stellvertreter. Gegenrede war sie von seiner Seite anscheinend nicht gewohnt. Aber sie zeigte sich erstaunlich selbstkritisch: »Hat er Recht?« Die Frage war zwar an Kral gerichtet, wurde aber von ihr selbst beantwortet: »Natürlich hat er Recht!« Nach einer kurzen Kunstpause folgte die Auflösung: »Die Kučera fühlt sich nun mal der Kunst verpflichtet, aber sie weiß natürlich, dass sie damit ihre Umwelt ab und zu ein bisschen langweilt.« Schließlich entschied sie: »Herr Kral, Sie machen das so, wie es Herr Hörl vorschlägt. Nennen wir die Sache ›Kriminalität im deutsch-tschechischen Grenzgebiet‹. Aber ich bitte Sie nachdrücklich: Keine einseitigen Schuldzuweisungen!«
Für Kral war damit das Thema Referat abgehakt, aber Hörl glaubte, noch ein paar Worte anfügen zu müssen. Der etwas trotzige Angriff auf seine Vorsitzende schien ihm doch ein bisschen leid zu tun. Er begründete sein Interesse für das Thema: Diese Kriminalität reiche nämlich bis nach Bayreuth. Da gebe es zum Beispiel einen Bauunternehmer, der bei öffentlichen Aufträgen regelmäßig die Konkurrenz unterbiete. »Wer’s wissen will, waas des, dasser mit billicha Leit ausn Osten ärbert, und die kumma mastens über die Tschechei doo her.« Frau Kučeras strafender Blick veranlasste ihn sofort zu einer Verbesserung: »Ich mahn nadierlich über Tschechien.«
»Und? Ich meine, geschieht da etwas, tut man da etwas dagegen?«, wollte Kral wissen.
»Net werglich!«, war die Antwort, »scheimbor hoder a boer guda Freind ganz uum. Zwoer hoder aamol a Stroof zoln missnn, ober irgendwie hoder a Luuch gfunna, dass mer na nix ohoom ko.« Was jetzt folgte, ließ Kral die Ohren spitzen: Der Herr sei auch mit einer Tschechin »verbandelt«, die hier in Bayreuth ein Heiratsinstitut betreibe.
Kral versuchte, seine Neugier mit einem Scherz zu kaschieren: »Sie wissen nicht zufällig, wie sich dieser Laden nennt? Schadet ja nichts, wenn man weiß, wohin man sich in Notzeiten wenden muss.«
Frau Kučera hatte ihn genau beobachtet und wahrscheinlich auch durchschaut. Lächelnd, aber mit beißender Schärfe kommentierte sie: »Herr Kral, wir wissen doch, dass Sie für die Polizei arbeiten. Stellen Sie bitte klare Fragen, dann erhalten Sie auch klare Antworten. Also«, sie beugte sich nach vorne und flüsterte, »dieses Institut ›Fortuna‹ wird von einer Tschechin betrieben, deren Name ich leider noch nicht kenne.«
»Danke«, lachte Kral
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