Wildes Herz
verständlich. Ich hätte jeder Tussi den Hals umgedreht, wenn sie Chris so angegangen … Moment, Enya fiel über den Mann her. Er stand nur stocksteif da und ließ es über sich ergehen, wurde richtig blass und seinen Lippen liefen blau an. Ich hatte außerdem kein Recht dazu, eifersüchtig zu sein, wenn eine Frau Chris … mühseliges Thema! Er war nicht hier, ergo war es auch im Moment nicht relevant.
„Nitro, Jesse!“ Den Mann im Rollstuhl hatte ich erst nicht bemerkt, war er nicht auf meiner Augenhöhe. Asiatisch stämmig, aber mit einem heftigen europäischen Einschlag. Seine Haut war sehr hell und mit Sommersprossen übersät. Sein langes Haar hellbraun. Er war ein Wolf, wenn auch ein ganz besonderer. Nicht nur wegen der offensichtlichen Tatsache, dass er im Rollstuhl saß und mit dem roten Pumpfläschchen vor Jesses Gesicht rumwedelte.
Jesse … der Jesse! Da er nicht nach dem Spray griff und ihn Enya auch nur verdattert ansah, machte ich kurzen Prozess. Ich rammte ihn die Flasche fast in den Hals und verpasste ihm zwei Hübe. Danach vollführte ich eine 180-Grad-Wende zu Angel, der seinen schicken weißen Kittel trug. „Er hat eine hypertensive Krise, weil er sich aufregt. Sein Blutdruck schnellt in astronomische Höhen und sein Puls rast. Hat irgendwer von euch Weißkitteln schon mal daran gedacht, die Ursache zu behandeln? Ich wette mit dir um meinen ollen VW-Käfer, der allein in Hot Springs vor sich hinrostet …“ Nein, alleine war er nicht. Bob musste wieder zu seiner Trudi zurückkehren, gab es dort Ärger im Diner. Keine Werwolfangelegenheit, sondern Stress mit den Behörden. Auch ein Werwolf war vor Behördenwillkür nicht gefeit. Doch ich war ja nicht auf mich alleine gestellt. „… das er einen erhöhten Blutdruck hat, weil sein Herz es nicht packt. Wie wäre es mit Bisoprolol? Oder mit Isosorbiddinitrat? Irgendwas, was den Herzmuskel stärkt und den Blutdruck senkt. Digoxin? Ich fände es besser vorzubeugen, als jedes Mal Nachsorgen zu müssen. Das Nitro wirkt irgendwann nicht mehr und dann?“
„Meine Worte, Ricura! Aber ich bin nicht sein behandelnder Arzt und der Lykanerdoc findet es übertrieben. Jesse soll einfach den Ballen flach halten.“ Angel griff in die Tasche seines Kittels und zog ein Schächtelchen heraus. „Mit freundlicher Empfehlung von Prajit Singh, Allgemeinarzt und Lykaner, aus einem Kaff nahe Green Bay. Enya hatte mit ihm gesprochen und er hält das für vielversprechend. 1,25 mg. Du sollst die Tablette vierteln und zuwarten. Stellt sich nicht die gewünschte Besserung nach einer Woche ein, sollst du eine halbe Tablette nehmen. Aber ich bin zuversichtlich. Bei Menschen wirkt es sehr gut. Um das Nitro kommst du nicht drum herum, wenn es zu heiß hergeht. Doch du würdest zumindest nicht blau anlaufen, wenn du dich freust, deine Cousine zu sehen.“
„Der Flug war anstrengend.“ Der slawische Einschlag in der Sprache des Mannes verwirrte mich vollends. Jesse nahm das Schächtelchen und drehte es in den Händen. „Ein Versuch kann wohl nicht schaden.“ Das Lächeln auf seinen Lippen war umwerfend und der Kerl ein Zuckerstückchen, wenn er nicht gerade einen Herzanfall bekam. Aber er war vergeben, hatte eine Frau und ein Kind. Und ich war ebenfalls … war ich das? Gott, so langsam wurde ich richtig konfus.
„Wen haben wir denn da?“, fragte Akira und lenkte die Situation in eine andere Richtung. „Angel, na klar! Unser Latinolover kennt mich näher, als kaum ein anderer. Die Platten und Schrauben sind übrigens draußen.“
Mit einer anerkennenden Daumen-hoch-Geste reichte Angel ihm die Hand. „Fortschritte, Amigo?“
„Wie man es nimmt. Der rechte kleine Zeh. Nicht gerade die Welt, aber als Wolf hänge ich den Alpha ab!“ Akira rieb sich in diebischer Freude die Hände.
„Du kannst als Wolf …“
„… springen und laufen, wie ein junger Gott, aber als Mensch, bekomme ich den Hintern nicht hoch, wortwörtlich!“, unterbrach mich Akira. Der Mann versprühte eine ebensolche Lebensfreude wie Mara, die ihn keck angrinste.
„Danke für die Bilder von meiner Nichte und auch die von William. Ich muss unbedingt bei euch vorbeischneien, wenn ich denn darf.“ Mara fiel Akira ungeniert um den Hals und landete auf seinem Schoß, was Tiff mit einem missfälligen Ton bedachte.
„Sicher doch! Miley würde sich freuen. Sie war sauer, dass sie nicht mitkonnte. Aber das ist nichts für ein Kind und auch nicht für meine Frau. Hi, Tiff!“ Akira reckte der
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