Wildes Herz
Initiative von ihr ausgegangen. So einfach ist das. Souffliere ihr die Worte. Das ist gar nicht so schwer, wie es sich anhört. Und dann nagle sie ordentlich, denn das hat sie verdammt noch mal bitter nötig, so biestig, wie sie im Moment ist. Seth möchte ich jetzt nicht sein. Den verspeist sie zum Frühstück, so unausgeglichen, wie sie im Moment ist.“
Tylers Mund stand sprachlos offen.
„So spricht man nicht über seine Mutter!“, tadelte Chris Enya schmunzelnd.
„Ich bin schwanger, ich darf das!“, erwiderte diese knallhart. „Wann sind wir denn endlich da?“
„Das sind die Koordinaten, die Jesse uns durchgegeben hat, korrekt. Es ist unterirdisch gelegen“, versicherte Tyler geflissentlich. „Sie haben die überirdischen Labore schon vor 1960 in Brand gesteckt. Vor drei Jahren haben sie den Rest abgerissen, der noch stand. Doch die unterirdischen Labore blieben erhalten, liegen dort noch immer Unterlagen, die überprüft werden müssten. Aber keiner traut sich so recht dran. Die Lykaner, da es nun mal Polen ist. Die Vampire, weil sie ihre unrühmliche Vergangenheit gerne vergessen würden.“
Etwas, das Tyler scheinbar nicht konnte.
„Wieso GPS, Ty, wenn du eine Nase hast?“ Chris tippte an sein hübsches Näschen. „Ich witterte Leon. Du etwa nicht?“
Einem Wolf eine fehlende Witterung zu unterstellen, war schon dreist, verließen wir uns nahezu immer auf unsere Näschen.
„Sicher. Aber ich will hundertprozentige Sicherheit haben. Ich bin Buchhalter“, erwiderte Tyler trocken.
„Ist auch egal!“ Enya preschte für ihren Zustand recht agil an den beiden Männern vorbei, hatte sie den Zugang gefunden.
„Schwangere …“ Ty schüttelte den Kopf, während Chris Enya hinterher humpelte.
„Er ist noch hier.“ Enya legte erneut ein Tempo jenseits von Gut und Böse vor. Sollte sie nur. Leon würde nicht wieder abhauen können, gab es hier nur einen Ausgang und den bewachte Tyler. Chris folgte Enya in gebührendem Abstand und ich … ja, ich hatte etwas ganz anderes im Kopf. Die fixe Idee spann mir schon seit Berlin im Hirnkasten herum und wenn nicht jetzt, wann dann? Leon befand sich in einem der Räume am Ende des Korridors. Zu meiner Rechten gab es ein kleines Büro und dort vermutete ich auch ein Archiv. Ich trat in den kleinen Raum und knipste das Licht an. In den fünf Jahren hatte sich einiges an Staub gesammelt auf den Aktenschränken. Ich rüttelte an einer der Schubladen. Sie waren nicht verschlossen! Karteikarten kamen zum Vorschein, alphabetisch sortiert. Ich ließ das A links liegen, wand mich gleich dem B zu und wurde relativ schnell fündig. Bertrand, Leon Mathis – unser Vampir besaß einen zweiten Vornamen, wie nett. Die Akte war gut daumendick. Es würde zu lange dauern, sie hier komplett zu durchforsten. Wer interessierte sich schon dafür, wenn ich die Akte mitgehen ließ? Keiner! Die Akte landete ungeöffnet in meinem Rucksack. Ich würde sie in aller Ruhe durchlesen und dann, nach Rücksprache mit Chris, entscheiden, inwieweit die darin befindlichen Informationen für Leon geeignet waren. Ich musste Tyler in dem Punkt recht geben: Manchmal konnte es besser sein, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Ich wollte nicht noch mehr alte Wunden bei Leon aufbrechen. Apropos Tyler … Jesse hatte erwähnt, dass auch Ty eines dieser Kinder wäre. Ergo müsste dann auch von ihm … Wie hieß Ty überhaupt mit Nachnamen? Ich zermarterte mir den Kopf. Das konnte jetzt doch nicht wirklich sein, dass ich seinen Namen nicht wusste! Ich hatte ein Paket für ihn angenommen und es war ganz sicher ein Name mit K gewesen. Ko … Nein, es machte nicht Klick. Ich öffnete einige weitere Schubladen, bis ich beim K landete. Ko … Meine Finger glitten über die Karteien, blieben an einer hängen. Ich griff instinktiv danach und zog sie raus. Kovac, genau, das war sein Nachname! Tiberiu Aurél Kovac . Das Tyler nicht sein richtiger Vorname war, das hatte ich längst vermutet, nannte Ty einen nicht zu verachtenden slawischen Dialekt sein Eigen. Dazu der südländische Teint, die dunklen Augen und das schwarze Haar. Wir mutmaßten, dass er aus Rumänien oder Ungarn stammen musste. Der Nachname war ebenfalls ein Indiz dafür. So sehr mich die Neugier auch trieb, ich ließ auch diese Akte in meinem Rucksack verschwinden. Leon war jetzt wichtiger und die Vergangenheit lief nicht weg. Nicht so wie Leon es tat und dann war da noch der Geruch von Blut … Leons Blut! Ich rannte aus der Tür und fast
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