Wildes Herz
dann würde das Tier endgültig Oberhand gewinnen und das würde sofort angreifen.
„Wie ist dein Name?“, fragte ich und trat ohne Angst an Chris Seite. Da lag ehrliche Verwunderung im Blick des Mannes. Er hatte nicht erwartet, dass ich mich ihm in den Weg stellte und ihn dann auch mit Fragen löcherte.
„Mein Name ist Martin“, antwortete er und ich bemerkte einen leichten nordischen Dialekt in seiner Aussprache.
„Gut, Martin. Du stammst aus Skandinavien? Woher genau?“
Den Wolf in ein Gespräch zu verwickeln, erschien mir die einzig richtige Taktik.
„Ursprünglich Schweden, ich lebe aber in Finnland. Doch was geht dich das an? Wer zur Hölle seid ihr überhaupt?“ Er machte seiner Wut in Worten Platz und das war gut. Es beruhigte ihn, kanalisierte er seine Wut auf diese Weise. Sollte er mich anschreien und seine Wut verbal auslassen. Seine Kiefer wirkten nun wieder richtig proportioniert und seine Gesichtszüge waren weicher, als noch Augenblicke zuvor. Er senkte den Blick. Martin verlor das Starrduell, ohne dass sein Tier Oberhand gewann.
„Ich bin Megan Whitewater, dies ist Christian, mein Gefährte und Alpha des Oshkosh-Rudels in den Staaten. Enya ist die Nummer Drei in unserem Rudel und Gefährtin von Leon.“ Ich zeigte auf den Vampir, der in den Handschellen hing, sich kaum noch aufrecht halten konnte. Sein Gesicht berührte fast den Boden, die Schultern und Arme so verdreht, dass er sie sich beinah ausrenkte. Korrektur, seine Schultern waren beide ausgekugelt. Das musste höllisch schmerzen. Aber Leon bekam von all dem kaum noch etwas mit, war er so gut wie k. o.
„Dieser Mistkerl hat hier im Labor gearbeitet! Das hat er selbst gesagt!“, schäumte Martin vor Wut. So seltendämlich wie Leon wäre ich auch gerne mal.
„Bevor oder nachdem du ihn so zugerichtet hast?“ Die Frage von Chris war durchaus berechtigt.
„Enya, geh zu Leon und hilf ihm!“
Enya reagierte zuerst nicht, starrte den Aggressor feindselig an. Ihr bekam das Ganze hier gar nicht. Der Flug hatte sie schon mehr geschlaucht, als er sollte und im Moment war ihre Wölfin in den Vordergrund getreten, etwas was in der Schwangerschaft nicht gut war. Enya durfte sich unter keinen Umständen wandeln. Ich nahm ihre Hand, drückte sie in einer besänftigenden Geste. „Enya, alles wird gut. Deinem Gefährten wird nichts mehr geschehen, das verspreche ich dir.“
„Du solltest nichts versprechen, was du nicht halten kannst“, setzte Martin zur Gegenwehr an, aber es klang nur halbherzig.
„Sie geht zu ihrem Gefährten, dem Vater ihres Kindes und sie wird ihm helfen. Das ist eine Tatsache, kein Vorschlag.“ Ich legte viel Alpha in meine Stimme, aber auch die Sanftheit meines besonderen Blutes.
Martin verschränkte die Arme vor der Brust. Es war eine Schutzgeste, versuchte er seine Unsicherheit hinter diesem Verhalten zu verbergen.
„Was hat er dir getan, Martin?“, fragte ich ruhig und ging einen Schritt auf ihn zu. Mein beschützerischer Mann knurrte leise. Am liebsten hätte ich ihm vors Schienbein getreten. Mit solchen feindseligen Gesten konnte er ruckzuck die Fortschritte wettmachen. Aber Martin hatte den Knurrer nicht bemerkt. Er schielte über meine Schulter hinweg zu Leon, den Enya gerade loskettete. Ein Schaudern ging durch den Körper des Mannes und er umschlang sich beinah selbst mit seinen Armen. Seine Wut war einer alles verschleiernden Angst gewichen. Angst vor Leon!
„Er ist einer dieser Mistkerle die hier … Sie haben ihnen wehgetan. Mir nicht, aber ich habe zusehen müssen, wie sie … Sie haben ihnen wehgetan. Immer und immer wieder.“ Schmerz war die Emotion, die ich nun deutlich vernahm. Angst, Hilflosigkeit und Schmerz …
„Leon war in Gliwice. Korrekt“, bemerkte Tyler völlig ruhig. Gott, ich hoffte, dass er die Situation nicht wieder zum Kippen brachte, war Diplomatie und Feingefühl keine seiner hervorstechenden Eigenschaften. „Ich war ebenfalls in Gliwice, Kleiner und was soll ich sagen … Wir haben überlebt, egal was geschehen ist. Leon ist ebenso ein Opfer wie wir. Was auch immer sie mit ihm getrieben haben, er kann sich an gar nichts mehr erinnern. Nichts! Er weiß nicht, woher er kommt und wer seine Eltern sind. Seine Vergangenheit liegt völlig im Dunkeln. Das ist meines Erachtens nach, Strafe genug. Und Kleiner, es ist Zeit, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Du hast jetzt ein Rudel. Das hast du doch, oder?“
Martin nickte energisch.
„Und welches, wenn ich fragen
Weitere Kostenlose Bücher