Wildes Herz
gearbeitet hatte, das war einfach nur dämlich! Ich hatte Leon als einen sehr intelligenten und besonnenen Mann kennengelernt, aber seit wenigen Tagen lief er neben der Spur. Jetzt war es erst mal daran, Schadenbegrenzung zu betreiben und danach musste ich ihn wohl ins Gebet nehmen.
Kapitel 15
Ich schielte über meine Brille hinweg, als Chris den Raum betrat.
„Wow, die Brille ist aber so was von sexy, Süße!“ Mit einem Vergnügen versprechenden Ausdruck auf dem Gesicht schlenderte er in den Raum, man bemerkte ihm sein Handicap kaum an.
„Wie lief es in Green Bay?“ Ich zog die Brille ab und legte die Akten beiseite.
Chris ließ sich auf den Chefsessel mir gegenüber fallen. Es war sein Büro und er passte hier wie angegossen rein.
„Seth hat nicht fair gekämpft, war ja klar. Dennoch hat Tank ihn geplättet. Ich weiß, man soll nicht schlecht über Tote sprechen, aber Rattengesicht hat das Zeitliche gesegnet, endlich.“
Ich nickte nachdenklich. Leid tat es mir wirklich nicht um diesen Mistkerl.
„Aber er hat Tank ein schmerzhaftes Andenken hinterlassen. Einer seiner Lendenwirbel ist angeknackst. In den nächsten Wochen sollte ihn besser niemand herausfordern. Aber so schlecht, wie Seth das Rudel geführt hat, küsst das Green-Bay-Rudel eher die Füße ihres neuen Alphas Tank. Ich habe ihm Aaron ausgeliehen, aber nur für vier Wochen. Jen hält ihm natürlich ebenfalls den Rücken frei.“
„Autsch!“ Es tat mir schon beim Zuhören weh. Doch ich teilte Chris Einschätzung. Tank hatte in den nächsten Wochen sicher keinen Putschversuch zu befürchten.
„Was macht unser Vampir?“
„Frustriert, dass außer Spesen nichts gewesen ist. Er hatte wohl gehofft, dass er sich erinnern könnte, eben wegen diesem Erinnerungsbruchstück, das ihm schon seit geraumer Zeit Albträume beschert.“ Es war aber auch zum Mäusemelken! Leon war, ohne aufzumucken, mit uns in die Staaten zurückgekehrt. Er hätte sich auch nicht groß wehren können, so wie Martin ihn zugerichtet hatte. Der Lykaner war postwendend zu seinem Rudel heimgekehrt, wie uns Sorja, die Verbindungsoffizierin des Lemmenjoki-Rudels, keine 12 Stunden nach unserem Zusammentreffen mit Martin mitteilte. Sie würde ihn höchstpersönlich die Ohren lang ziehen, hatte sie versprochen. So renitent, wie sie am Telefon auf mich wirkte, zweifelte ich nicht eine Sekunde daran. Martin war zudem dazu verdonnert worden, für die Behandlungskosten von Leon aufzukommen. Die hielten sich jedoch in Grenzen, heilte der Vampir atemberaubend schnell. Lediglich sein Finger hatte gerichtet werden müssen, der Rest heilte von selbst. Vampire hatten ein beneidenswertes Heilfleisch. Die Heilkräfte eines Werwolfs waren schon nicht übel, aber ein Vampir … gebrochene Knochen - kein Thema für sie. In einer Woche waren sie so gut wie neu.
Leons körperlicher Zustand war okay, sein seelischer beunruhigte mich dennoch zusehends. Er entfernte sich immer mehr vom Rudel, trotz Enya, trotz seines ungeborenen Kindes. Leon entglitt nicht nur dem Rudel, auch meinem Netzwerk und wenn er sich davon löste … Es wäre sein Ende! Ich musste irgendetwas tun, aber nein, meine Fähigkeiten waren auf Werwölfe limitiert!
„Er entfremdet sich dem Rudel“, bemerkte Chris spitzfindig. „Das können wir nicht zulassen. Enya braucht ihn. Sie liebt diesen Idioten. Vielleicht sollten wir ihm das mal in Erinnerung rufen!“ Wutschnaubend wanderte Chris Hand zu der obersten Akte. Ich hielt ihn nicht zurück. „Hast du die aus Gliwice mitgehen lassen? Aber ja doch … Bertrand, Leon Mathis. Und? Was steht drinnen?“
„Dass er Albträume hat, kann ich nur allzu gut nachfühlen.“ Ich nahm die daumendicke Akte an mich und schlug sie auf. „Wenn er die in die Hände kriegt, dann nimmt er sich einen Strick. Das ist so sicher, wie das Amen in der Kirche!“
Chris rümpfte die Nase und schielte auf die Akte. „So schlimm?“
„Die Experimente? Sicher! Aber was ihm den Todesstoß geben würde, ist das hier.“ Ich schlug die Geburtsurkunde auf, die obenauf lag, und reichte sie Chris, damit er sich nicht verrenken musste, um sie zu lesen.
„Mutter Manon Louise Bertrand, Vater unbekannt. Okay, aber das finde ich jetzt nicht weiter …“
Ich blätterte eine Seite weiter, zur Erstuntersuchung im Labor.
„Aufnehmende Ärztin: Manon Bertrand.“ Ungläubig blätterte Chris weiter durch die Akte, schloss sie mit einem lauten Knurren. „Die eigene Mutter. Seine eigene verfickte Mutter hat
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