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Wildes Herz

Wildes Herz

Titel: Wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Britt Harper
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einem großen Stein ab, den das Regenwasser der vergangenen Tage sauber gewaschen hatte. Sorgfältig deckte sie ihren Umhang, in den sie Schal und Mütze gestopft hatte, darüber, sodass ihr kostbares Brot vor fremden Blicken geschützt sein würde. Schließlich holte sie den primitiven Holzkamm aus ihrem Beutel und kniete sich nahe an das flache Uferwasser.
    Mit beiden Händen schlug sie sich das eisige Nass mehrmals ins Gesicht, um den Schmutz zu lösen und abzuwaschen. Mit ihrem Haar, das ihr in struppigen und verdreckten Strähnen bis auf die Schultern fiel, hatte sie erheblich mehr Mühe.
    Immer wieder zuckte sie schmerzhaft zusammen, wenn der Kamm in den verknoteten Haaren auf zähen Widerstand stieß. Aber auch wenn am Ende noch so viele Strähnen im Kamm hängen blieben, es war Éanna egal. Was sie sich einmal in den Kopf gesetzt hatte, das führte sie auch aus.
    Éanna war so mit ihrer Wäsche beschäftigt, dass sie nicht mehr darauf achtete, was am Ufer geschah. Erschrocken fuhr sie deshalb zusammen, als plötzlich links von ihr eine Gruppe junger Burschen aus den Büschen brach und rasch auf sie zukam. Sie waren zu fünft. Der jüngste mochte gerade elf oder zwölf sein, zwei vielleicht in ihrem Alter und die anderen beiden zwei, drei Jahre älter. Ihre abgerissene Kleidung und die Gesichter verrieten sofort, dass auch sie zu dem riesigen Heer der Vertriebenen gehörten.
    Doch keiner von ihnen hatte diese entsetzlich ausgehöhlten Gesichter mit der papierdünnen, durchschimmernden Haut. Auch stachen nicht überall spitze Knochen unter der Haut hervor. Und wenn zwei von ihnen keine Schuhe besaßen und nur kurze knielange Hosen trugen, so zeigten ihre Beine doch noch keine Anzeichen von Spindeldürre oder gar Hautschwärze wie bei so vielen anderen, die dem Tod näher als dem Leben waren.
    Einer der älteren Jungen, ein Kerl mit flammend roten Haaren und einer kantigen Kinnpartie, rief nun spöttisch: »Was haben wir denn da, Freunde? Eine Schöne beim Bade! Na, das ist doch mal was fürs Auge, findet ihr nicht?«
    Einer der jüngeren lachte und meckerte dabei wie eine Ziege. »Vielleicht fragst du sie mal, für wen sich denn so schön macht, Paddy? Und was sie so von ihren Kunden nimmt!«
    »Später, Hugh«, erwiderte der Bursche, der auf den Namen Paddy hörte und bei ihnen offensichtlich das Sagen hatte. »Will mir doch erst einmal den Mantel ansehen. Könnte vielleicht ein bisschen eng sein, aber man darf ja nicht wählerisch sein.«
    Éanna ließ sofort ihren Kamm fallen. »Verschwindet! Lasst mich in Ruhe!«, rief sie und griff nach ihrem Umhang. Sie hätte sich ohrfeigen können, dass sie das Brot nicht in den Mantel gewickelt hatte.
    Als der Laib zum Vorschein kam, lachte Paddy triumphierend auf. »Das wird ja immer besser, Kumpels. Die Schöne hat uns den Tisch gedeckt! Na, das lass ich mir gefallen!«
    Éanna riss das Brot an sich, sprang auf und wollte die Flucht ergreifen. Aber damit hatten die fünf gerechnet. Rasch fächerten sie sich zu einem Halbkreis auf, aus dem es für Éanna kein Entkommen gab. Auf ein Zeichen von Paddy stürzten sie sich auch auf sie.
    »Her mit dem Brot! Oder glaubst du vielleicht, du könntest es mit uns aufnehmen?«, schrie der rothaarige Anführer. Er fackelte nicht lange, sondern hieb ihr seine Faust ins Gesicht.
    Éanna taumelte zu Boden, und schon im nächsten Moment wurde ihr das Brot aus den Händen gerissen. Der Jüngste aus der Gruppe, Hugh mit dem meckernden Lachen, machte sich über ihren Beutel her, kippte ihn aus und wühlte in Éannas Habseligkeiten herum. Die alte, löchrige Decke war das Einzige, was ihm wert genug erschien, um es ihr zu stehlen.
    Éanna fluchte durch die Zähne und rappelte sich auf. Den Mantel mit Schal und Wollmütze in der Innentasche durfte sie unter keinen Umständen hergeben. Ohne den warmen Umhang würde sie die nächsten Monate nicht überleben. Mit dem Mut der Verzweiflung hielt sie den Umhang mit ihrer linken Hand umklammert, während sie mit der anderen Hand um sich schlug und ihnen die Gesichter zu zerkratzen versuchte.
    »Zum Teufel, lasst ihr den Umhang!«, rief einer der Älteren, der wie Paddy rötliches Haar hatte. Doch seines war eher blond als karottenrot und zudem kraus wie Putzwolle. Ihm hatte Éanna einen langen, blutigen Kratzer auf der linken Wange zugefügt. »Lasst uns mit dem Brot verschwinden, bevor ihr noch jemand zu Hilfe kommt! Sie ist doch genauso dreckig dran wie wir. Lass es, habe ich gesagt, Danny!«

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