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Wildes Herz

Wildes Herz

Titel: Wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Britt Harper
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und Trümmerhaufen, deren Anblick Éanna längst so vertraut war wie alles andere.
    Sie lauschte der Stille, die über dem Land lag, und wusste, dass es nicht die friedliche Ruhe eines schönen Nachmittags war, sondern vielmehr das beklemmende Schweigen eines zerstörten Landes.
    Es war die Hungerstille!
    Denn nirgendwo war das Gegacker von Hühnern zu hören, kein Schwein grunzte, kein Schaf blökte auf einer Wiese, nirgendwo war das Bellen eines Hundes oder das Muhen einer Kuh zu hören, die darauf wartete, gemolken zu werden. Nichts von diesen Geräuschen, die jeden Tag das Leben der Bauern begleitet hatten, war in diesem Landstrich zu vernehmen. Es schien, als wäre ganz Irland zu einem einzigen, riesigen Grab geworden.
    Schnell ging Éanna weiter.
    Bald schon senkte sich das graue Tuch der Abenddämmerung auf sie herab, und als sie einem Wiesenpfad entlang eines kleinen Waldes folgte, hörte sie plötzlich den schwachen Klang einer Flöte und einer Fidel. Im ersten Moment glaubte sie, unter Halluzinationen zu leiden. Doch es war keine Einbildung. Sie erkannte sogar die Melodie, die da von den Bäumen her zu ihr herüberwehte. Es war das traurige Lied des Schäfers Liam von Connemara, der all seine Tiere verlor und dem am Schluss seiner Wanderschaft nur noch ein einziges Lamm blieb.
    Sie überlegte kurz, ob sie der Musik folgen und nachsehen sollte, wer in diesen Zeiten noch die Kraft und den Willen aufbrachte, Flöte und Fidel zu spielen. Schlechte Menschen konnten es kaum sein, die Trost bei den alten Liedern ihres Volkes suchten. Und so beschloss sie, zu ihnen zu gehen. Vielleicht hatten sie nichts dagegen, wenn sie bei ihnen die Nacht verbrachte. Nach den Erlebnissen des Tages erschien ihr das sicherer zu sein, als ganz allein irgendwo Unterschlupf zu suchen. Éanna hatte ihre Lektion am Fluss gelernt, und sie würde sie nicht mehr vergessen.
    Als sie auf die andere Seite des schmalen Streifen Waldes gelangte, sah sie dort eine Kate, die nur zum Teil eingerissen war. Ein Drittel des Reetdaches hatte der Zerstörungswut der Gutsherrenknechte widerstanden. Und aus der halb herausgebrochenen Mauer der vorderen Hauswand drang Feuerschein in den Abend.
    Rasch ging Éanna auf die Bauernkate zu. Als sie Augenblicke später durch die große Mauerlücke trat, erblickte sie hinten in der Ecke unter dem Restdach drei Mädchen um ein kleines Feuer sitzen. Eines der Mädchen, das ihre roten, strohigen Haare zu zwei Zöpfen zusammengebunden hatte, spielte Fidel. Dem Instrument fehlte jedoch ein Großteil des Bodens. Auch auf der Oberseite klaffte ein rissiges Loch. Und an dem Bogen, den das Mädchen mit geschlossenen Augen über die Saiten führte, fehlte ein Großteil der Bespannung. Das dunkelhaarige Mädchen, das sie auf einer kleinen Flöte begleitete, saß mit dem Rücken zur Mauerlücke am Feuer. Und das dritte Mädchen, das einen alten Männermantel trug, der für ihre magere Gestalt viel zu groß und zu lang war, zerbrach gerade eine Dachlatte, um damit das Feuer zu nähren. Jedes von ihnen war so mit seinem Tun beschäftigt, dass sie Éanna gar nicht bemerkten.
    »Habt ihr was dagegen, wenn ich euch die Nacht über Gesellschaft leiste?«, machte sie sich bemerkbar.
    Jäh brach das melancholische Schäferlied ab, und die drei Mädchen, die mehr oder weniger in ihrem Alter waren, fuhren erschrocken zu ihr herum.
    »Éanna?«, rief im nächsten Moment das Mädchen ungläubig, das Flöte gespielt hatte. »Heilige Muttergottes, du bist es wirklich! Ich werde verrückt.«
    Auch Éanna konnte ihren Augen nicht trauen, als sie Emily Farrell wiedererkannte, die nun vom Feuer aufsprang und zu ihr kam, um sie herzlich zu umarmen.
    »Du lebst ja noch!«, entfuhr es Éanna in ihrer Überraschung unwillkürlich.
    Emily lachte kurz auf. »Dasselbe kann ich von dir sagen. Mein Gott, ich hätte nicht geglaubt, dich noch einmal wiederzusehen! Was freue ich mich, dass du noch auf den Beinen bist! Und natürlich bleibst du!«, sprudelte sie hervor und packte sie am Arm, um sie hinüber zum Feuer zu ziehen. »Das ist Éanna Sullivan, von der ich euch erzählt habe«, rief sie den anderen beiden Mädchen zu. »Wenn sie mir damals nicht an jenem verfluchten Tag im Steinbruch geholfen hätte, wäre ich jetzt wohl nicht hier, sondern läge irgendwo am Straßenrand!«
    Éanna erwiderte das zurückhaltende Nicken der beiden.
    »Das ist Bridget McQuil.« Emily deutete auf das rothaarige Mädchen mit den Zöpfen. »Sie stammt aus Limerick.

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