Wildes Herz
Janna eine Hand an Lucifers Kopf, während sie leise auf ihn einredete, damit er wusste, wo sie war. Als seine Ohren nicht mehr flach am Kopf anlagen, beugte sie sich über seinen Rumpf und zerrte ihren Rucksack an einen leichter erreichbaren Platz. Während sie mit einer Hand die Kräuter und Salben prüfte, sagte sie sich, dass Ty unversehrt geblieben war. Die Schüsse kamen von Troon oder von den Abtrünnigen, nicht aus Tys Karabiner. Er befand sich im Moment in Sicherheit, auch wenn sie getrennt waren...
„Gott, ich flehe dich an, lass ihn in Sicherheit sein“, betete sie leise, während sie den muskulösen Hals des Hengstes streichelte, der von weißem Schaum bedeckt war.
Lucifer wehrte sich nicht mehr gegen die Berührung, aber die Maulbinde behinderte ihn. Sein Atem ging schwer. Er stöhnte bei jedem Luftholen. In der Stille klang das Rasseln wie Donner. Nach wenigen Minuten zog Janna ihr Messer hervor und durchtrennte das Tuch, damit der Hengst sein Maul öffnen konnte und die Nüstern frei waren. Sofort wurde der Atem ruhiger.
„Du wolltest mich ohnehin nicht beißen, habe ich Recht?“ murmelte sie und strich über Lucifers Nase.
Janna fragte sich, ob Lucifer mit seinem schweren Atem unerwünschte Aufmerksamkeit erregt hatte, und spähte besorgt an den Grabenwänden hoch. Die Senke war ihr einziger Schutz. Sie hörte niemanden, und oben am Rand bewegte sich nichts.
Umso besser. Ein gutes Versteck war die Schlucht nicht. Das niedergedrückte und abgeknickte Buschwerk, über das Lucifer in die Tiefe gestürzt war, machte Spurensuchern die Arbeit leicht. Auch am Boden war die Deckung schlecht. Janna machte sich keine Illusionen über ihre Chancen, den Abtrünnigen zu entkommen, wenn sie die bruja mit dem verletzten und durch die Augenbinde behinderten Hengst hier entdeckten.
Nach einem weiteren Blick zum Grabenrand zog sie Tys große Pistole aus dem Gürtel, ließ die Trommel rotieren und spannte den Gewehrhahn. Nun würde ein rascher Fingerdruck am Abzug genügen, und der erste Schuss löste sich. Vorsichtig legte sie die Waffe weg, aber nah genug, um leicht an sie heranzukommen. Dann kümmerte sie sich wieder um Lucifer.
„Es wird wehtun“, sagte sie leise und mit ruhiger Stimme. „Aber du erträgst die Schmerzen wie ein richtiger Mann, nicht wahr?“
Sie tränkte das letzte Stück des zerrissenen Hemdstoffs mit Wasser aus ihrer Trinkflasche und begann die lange Kerbe zu reinigen, die Troons Kugel an Lucifers Hüfte gerissen hatte. Der Hengst, dem noch immer die Augen verbunden waren, erschauerte. Er legte die Ohren flach. Aber er machte keine Anstalten, sich herumzuwerfen und Janna zu beißen, während sie über ihn gebeugt arbeitete. Sie lobte Lucifer mit sanften Tönen. Ihre Stimme verriet nichts von den Schmerzen, die von ihren eigenen Verletzungen verursacht wurden, und auch nicht die wachsende Angst, Ty könnte am Ende den Abtrünnigen doch in die Hände gefallen sein.
Janna reinigte Lucifers Wunde von dem Schmutz, der bei seinem Sturz in den Graben hineingeraten war. Der Hengst zuckte zusammen und stieß unwillkürlich einen schrillen Laut aus.
„Ruhig, Junge. Ganz ruhig ... ich weiß, das tut weh, aber die Verletzung kann nicht heilen, wenn sie unbehandelt bleibt. Ja ... so ist es gut ... Bleib ganz ruhig liegen, und lass mich die Wunde versorgen.“
Die raue Stimme und der Strom gemurmelter Worte hypnotisierten Lucifer. Er zuckte mit den Ohren, drehte sie zur Seite und hörte Janna zu, während sie sich von ihrem Rucksack wieder der Wunde an seiner Hüfte zuwandte.
„Das sieht schlimmer aus, als es ist“, sagte die junge Frau leise, wrang das Tuch aus und goss neues Wasser darüber. „Die Wunde ist tief und hat stark geblutet, aber die Kugel hat keine Sehnen und Muskeln verletzt. Du wirst eine Weile gereizt und mürrisch durch die Gegend humpeln, und du behältst eine Narbe in deinem hübschen schwarzen Fell, aber die Verletzung wird sauber und gut verheilen. In ein paar Wochen bist du wieder munter und rennst hinter deinen Stuten her. Du wirst viel laufen müssen, denkst du nicht auch? Sicher haben sich deine Stuten in alle Himmelsrichtungen davongemacht, bis in den Abgrund der Hölle, wie Papa immer sagte. Wetten, dass dieser braune Hengst, den du letztes Jahr besiegt hast, dir die besten Stuten abspenstig macht, sobald er die Gelegenheit dazu bekommt?“
Lucifer bewegte die Ohren, sog durch seine bebenden Nüstern tief und anhaltend die Luft ein, atmete aus und machte noch
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