Wildes Herz
später kam wieder ein Geräusch; dieses Mal klang es, als würde Tuch an Gebüsch reiben. Oder war das nur der Wind, der die Zweige niederdrückte und wieder hochschnellen ließ?
„Janna?“
Zuerst war das Flüstern so leise, dass sie meinte, ein Geräusch in ihrer Fantasie zu hören.
„Janna? Alles in Ordnung mit dir?“
„Ty? Bist du das?“
„Teufel, nein“, sagte Ty verächtlich. „Ich bin Joe Troons Geist, der dich verfolgt. Bleib, wo du bist. Ich komme nach unten.“
Ein Kieselstein rollte in die Tiefe, dann ein zweiter und noch einer, als Ty, auf Eile statt Vorsicht setzend, in den Graben stieg. Der Weg durch das offene Gelände vom Hügelkamm bis zur Grabenkante hatte ihn Jahre seiner Lebenszeit gekostet, obwohl er keinen Grund zu der Annahme hatte, die Abtrünnigen könnten auf der Stelle zurückkehren. Ebenso wenig durfte er glauben, sie würden gar nicht wiederkommen. So dürftig die Deckung am Grabengrund auch war, je früher er sie erreichte, desto besser würde er sich fühlen.
Janna beobachtete, wie Ty über das letzte steile Stück in die Schlucht glitt. Er umgriff Halt suchend den Stamm einer abgestorbenen Pinonkiefer und lächelte Janna an. Ihr Herz machte einen Sprung.
„Süße“, sagte er gedehnt, „du bist ein Anblick für die Götter.“
Er sah an ihr hinunter, als würde er sie mit den Händen berühren. Ihr fiel ein, dass sie von der Taille aufwärts nackt war. Sie errötete und verschränkte die Arme vor der Brust, konnte aber die Glut nicht verbergen, die unter ihrer Haut aufflammte.
Ty stockte der Atem in der Kehle, als er Jannas Bild in sich aufnahm; die marmorglänzende Vollkommenheit, mit der ihr Oberkörper aus der übergroßen Männerhose ragte. Die Arme waren schlank und konnten die vollen Rundungen ihrer Brüste nicht verdecken. Unter der Biegung ihrer Ellenbogen schimmerten die tiefrosa gefärbten Knospen hervor.
Blind kramte er in seinem Rucksack, entdeckte das gefaltete und eingerollte Tuch, das sie nicht mehr anlegen sollte, sowie einen Umhang. Beides warf er in ihren Schoß. „Hier. Wickle dich ein, seidener Schmetterling, und leg den Umhang um. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich dich in diesem Augenblick begehre. Ich habe Lucifer gesehen, als er in den Graben stürzte, und du hast dich hinterhergeworfen. Ich konnte keinen sauberen Schuss auf seinen Kopf abgeben, um dich ...“ „Was?“ unterbrach sie ihn. Sie war entsetzt. „Warum wolltest du Lucifer erschießen? Er ist nicht so schwer verletzt.“
„Ich weiß. Deshalb hatte ich Angst, er könnte dich mit seinen großen Hufen zu Tode trampeln.“
„Du hättest ihn getötet, um mich zu retten?“
Er sah sie mit aufgerissenen Augen an. „Zum Teufel, ja! Wofür hältst du mich?“
Sie versuchte zu sprechen und fand keine Worte. Stumm begann sie, das Tuch um ihren Oberkörper zu wickeln.
„Bei Gott und allem, was mir heilig ist“, sagte Ty leise. „Die Tatsache, dass ich dich verführt habe, macht mich nicht besser. Aber ich bin kein mieser Kerl, der dich dem sicheren Tod überlässt, obwohl ich dich retten könnte!“
„Das habe ich nicht gemeint. Es ist nur ... dass du ..."
„Was?“ fragte er ärgerlich.
„Mich überrascht, dass du Lucifer ohne Zögern getötet hättest. Das ist alles“, erklärte Janna mit zitternder Stimme. „Der Hengst ist deine Chance, eine erstklassige Herde aufzubauen. Er ist deine Hoffnung auf ein Vermögen, mit dem du deine Seidendame kaufen kannst. Er ist der Beginn deiner Träume. Er ist... alles. Und ich bin ..." Sie holte tief Luft und wandte den Blick von seinem harten, verschlossenen Gesicht ab, bevor sie weitersprach: „Ich bin weder deine Blutsverwandte noch deine Verlobte, bestenfalls eine ... zeitweilige Annehmlichkeit. Warum solltest du deinen Traum für mich töten?“ Sie sah ihn kurz an. „Trotzdem, danke, Ty. Das war das Schönste, was ein Mensch in meinem Leben für mich getan hat.“
27. Kapitel
„Wie schwer ist er verletzt?“ fragte er.
Janna fuhr überrascht hoch. Dies war der erste Satz, den er sagte, seit sie ihm vor einer Stunde für die Bereitschaft gedankt hatte, seinen Traum zu opfern, um ihr Leben zu retten.
Anschließend war Ty neben Lucifers Kopf getreten. Dort ging er in die Hocke, als Bollwerk zwischen Lucifers Zähnen und Janna. Er hatte dem Hengst sanft zugeredet und mit regelmäßigen Bewegungen Lucifers kräftigen Hals gestreichelt, bis das Wildpferd sich entspannte und die fremde Stimme und die fremde
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