Wildhexe 1 - Die Feuerprobe
plötzlich vorbei damit, in einer Viertelstunde zu den Pferden zu kommen. Ich konnte nicht mehr mit dem Rad fahren, sondern musste zwei Busse nehmen, was zusammen über eine Stunde dauerte. Also konnte ich nur noch ab und zu reiten, wenn meine Mutter Zeit hatte, mich mit dem Auto zu bringen. Ich vermisste es wahnsinnig, sowohl die Pferde als auch meine Reiterfreundinnen. Mia, Kajsa und besonders Anne-Katrine. Und Magic, das Reitschulpferd, mit dem ich sogar beim Klubturnier hatte antreten dürfen. Stjerne war nun vielleicht nicht unbedingt ein top getuntes Wettkampfpferd und hätte sich wahrscheinlich vor Lachen auf dem Boden gewälzt, wenn man von ihr verlangt hätte, im freien Trab zu gehen oder über ein Hindernis zu springen, das höher als ein Baumstamm war, aber sie hatte ein weiches, warmes Maul und freundliche Augen und roch wenigstens nach Pferd. Nach nassem, schlammverkrustetem Pferd und ein ganz klein wenig nach Ziege. Absolut besser als nichts.
Ich versuchte gerade, den Schlamm aus Stjernes dickem schwarzem Schweif zu bürsten, als mich das seltsame Gefühl überkam, dass mich jemand beobachtete. Ich schaute nach oben. Tu-Tu saß auf einem der Hahnenbalken über mir, aber er war es nicht. Er hob unruhig die Flügel und drehte den Kopf auf diese Einmal-rund-herum-Weise, die nur Eulen beherrschen. Dann flog er plötzlich auf und strich mit einem gellenden Eulenschrei über Stjernes und meinen Kopf hinweg.
Mein Herz machte einen Satz. Stjerne schnaubte und schlug mit dem Kopf, eine der Ziegen meckerte nervös.
»Clara!« Es war Tante Isa, die mich rief, scharf und sehr bestimmt. »Komm rein! Jetzt!«
Ich war noch nicht fertig mit Stjerne. Sie hatte noch immer Erde im Schweif, und ich hatte ihr noch kein Heu gegeben. Aber etwas an Tante Isas Tonfall brachte mich dazu, den Striegel auf die Haferkiste zu legen und den Stall sofort zu verlassen.
Draußen auf dem Hof war es beinahe ebenso dunkel wie im Stall. Der Regen war nur noch ein feuchter Sprühregen, aber der Wind hatte aufgefrischt und peitschte durch die Zweige des Kastanienbaums am Ende des Hauses. Tante Isa stand in der Tür, das Licht im Rücken und Tu-Tu auf der Schulter, genauso bucklig wie damals, als ich sie zum allerersten Mal gesehen hatte.
»Beeil dich«, sagte sie.
Ich lief über den Hof und duckte mich durch die Tür, Tumpe war direkt hinter mir.
»Was ist los?«, fragte ich.
»Die Wilden Wege haben sich geöffnet. Ich glaube, es sucht jemand nach dir.«
»Die Wilden Wege?«
»Mach die Tür hinter mir zu und schieb den Riegel vor. Setz dich in die Küche, ich komme und klopfe ans Fenster, wenn ich wieder reinwill. Es dauert nicht lange.«
Sie zündete eine Sturmlaterne an und ging raus in die Dunkelheit. Ich schob den Riegel vor, so wie sie es mir gesagt hatte.
Was meinte sie damit, dass die Wilden Wege sich geöffnet hatten ? Und was machte sie da draußen? Die Ente war vom Zeichentisch gesprungen und lag ganz still hinter dem Korb mit dem Feuerholz. In kurzen Abständen stieß sie ein kleines, ängstliches Quaken aus, als hoffte sie, jemand würde sie beruhigen und ihr sagen, dass sie nicht alleine war. Ich konnte gut nachempfinden, wie sie sich fühlte. Ich selbst hockte mich auf das Sofa und presste die Nase fest an die Fensterscheibe, um besser sehen zu können, was draußen in der Novemberdämmerung passierte.
Ich sah den hüpfenden Schein der Sturmlaterne und die Umrisse meiner Tante, mit Tu-Tu auf der Schulter. Sie war auf dem Weg zum Gatter und zu den weißen Steinen. Als sie dort ankam, hängte sie die Laterne an einen der Zaunpfosten und stand lange reglos da. Ich glaube, sie sang. Ich konnte es nicht hören, aber irgendetwas … irgendetwas Friedliches breitete sich aus. Es war, als würden die Flammen in der Laterne ruhiger brennen, als würde der Wind lange nicht mehr so stürmisch wehen und als würden die Zweige der Kastanie weniger hitzig gegen das Dach schlagen. Die Ente hörte auf zu quaken und steckte ihren Schnabel unter den Flügel.
Kurz danach kam Tante Isa zurück. Ich glaube, sie hatte mein Gesicht hinter der Scheibe gesehen, denn sie klopfte nicht wie angekündigt, sondern wartete nur, bis ich den Riegel wieder zurückgezogen und ihr die Tür geöffnet hatte.
»Was war denn los?«, fragte ich.
»Es herrschte Unruhe auf den Wilden Wegen«, sagte sie. »Aber ich habe meinen Schutz verstärkt, und ich denke, jetzt ist alles sicher.«
»Was sind diese Wilden Wege? Was bedeutet das?«
»Stell den Kessel
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