Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wildhexe 1 - Die Feuerprobe

Wildhexe 1 - Die Feuerprobe

Titel: Wildhexe 1 - Die Feuerprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lene Kaaberbol
Vom Netzwerk:
…?«
    Kahla verdrehte die Augen. »Wo bist du denn zur Schule gegangen?«, sagte sie.
    »Kahla, sei still«, sagte Tante Isa. »Das hier ist alles neu für Clara. Dafür kann sie ja nichts. Clara, versuch, die Augen zu schließen.«
    Okay, das war wohl gerade noch zu schaffen. Ich tat, was sie gesagt hatte.
    »Hörst du, wie die Geräusche lauter werden?«
    Ich lauschte. Und es stimmte, das Rauschen der Bäume war wirklich ein bisschen deutlicher zu hören. Und ich konnte hören, wie ein Zweig unter Kahlas Füßen zerbrach, als sie anfing zu trippeln, um sich warm zu halten. Vielleicht war da sogar ein kleines Schniefen aus dem Korb, in dem der Igel lag?
    »Als Nächstes hältst du dir auch noch die Ohren zu, sodass du nichts mehr hörst.«
    »Und was passiert dann?«
    »Vielleicht nimmst du dann etwas anderes wahr. Na los. Versuch es.«
    Ich steckte mir die Finger in die Ohren. Das Rascheln der Blätter in den Baumwipfeln verschwand. Erst hörte ich stattdessen nur die Geräusche in meinem Körper, aber dann … dann konnte ich plötzlich superdeutlich den Waldboden riechen, den dunkelbraunen, nassen Geruch von Regen, Herbst und Igel. Ja, ich konnte den Igel riechen!
    Ich machte die Augen wieder auf.
    »Wahnsinn«, sagte ich. »So ähnlich muss es sich anfühlen, ein Hund zu sein.«
    »Nur tausendmal stärker«, sagte Isa. »Jetzt versuchen wir noch etwas. Du schließt die Augen. Ich halte dir die Ohren zu. Und du selbst hältst dir die Nase zu.«
    »Was passiert dann?«
    »Das werden wir sehen. Bitte sehr.«
    Da stand ich jetzt und konnte weder sehen noch hören noch riechen. Ich konnte die Kälte auf meiner Haut spüren und die Erde unter meinen Füßen. Ich konnte meine eigene Spucke schmecken. Das war alles.
    »Es passiert gar nichts«, sagte ich.
    »Mach weiter«, sagte Tante Isa und hielt ihre warmen Hände an meine Ohren, sodass alle Geräusche verstummten. Mach weiter .
    Ein Schauer durchfuhr mich. Ich hörte sie, obwohl ich sie nicht hören konnte. Auf einmal waren da eine Million Geräusche, eine Million Leben – piepsendes, quakendes, raunendes, wachsendes, krabbelndes, fliegendes, brüllendes, kläffendes, blubberndes Leben. Mir wurde ganz schwindlig, und ich verlor das Gleichgewicht.
    »Seid still«, schrie ich. »Haut ab!«
    HAUTABHAUTABHAUTAB. Ich schrie es laut und stumm in meinem Kopf. Alles um mich herum schwankte und drehte sich. Ich stürzte, landete mit einem weichen, nassen Platschen auf dem Boden und kullerte rücklings den Hügel hinunter, bekam faulendes Laub in den Mund und Matsch zwischen die Zähne.
    Es wurde still. Ich lag bäuchlings unter einer Birke, und das Einzige, was ich hören konnte, waren der Wind und mein eigener keuchender Atem. Dann war es, als würde der Wald explodieren.
    Tumpe raste, so schnell er konnte, die Böschung hinunter, gefolgt von einer Welle aus Mäusen, Kröten, Käfern, Eichhörnchen, Mücken, Mistkäfern, Tausendfüßlern, Nachtfaltern. Ein Schwarm Vögel flog auf, Kohlmeisen, Saatkrähen, Eichelhäher und Spatzen, und sie alle konnten gar nicht schnell genug fliehen. Der Korb neben Kahla wackelte heftig, weil der Igel ebenfalls verzweifelt versuchte zu flüchten.
    Tante Isa stand eilig auf und sang. Es war kein sanftes Summen, sondern ein hoher, klarer und warmer Ton, der die panische Flucht stoppte. Flügel, Beine und Tierherzen beruhigten sich. Die Saatkrähen kreisten schimpfend über unseren Köpfen, und der Korb mit dem Igel hörte auf zu beben.
    Ich saß auf der nassen Erde und atmete durch den offenen Mund.
    Ich.
    Ich hatte das gemacht.
    Sie waren vor mir geflohen. Weil ich ihnen gesagt hatte, sie sollten das tun.
    Es war unmöglich. Und trotzdem war es passiert. Ich hatte es mir nicht eingebildet, und es war auch kein Zufall.
    Es war wirklich da.
    Isa half mir, mich aufzusetzen.
    »War es … war es das, was du von mir wolltest?«, fragte ich.
    »Tja …«, sagte Tante Isa und ließ den Blick über die nach wie vor ziemlich verlassene Böschung schweifen. »Die Flöhe sind jedenfalls weg …«

9  DIE WILDEN WEGE

    Wo bist du?«, fragte Oscar.
    Es knackte und rauschte in meinem Ohr, und seine Stimme klang, als wäre er sehr weit weg. Aber das war er ja auch.
    »Bei meiner Tante«, seufzte ich.
    Ich saß oben auf dem Hügel, auf den Steinen, die die nördliche Grenze von Isas Wildhag bildeten. Es war so ziemlich die einzige Stelle, an der das Handy wenigstens ein bisschen Empfang hatte. Streng genommen hätte ich Isa vorher um Erlaubnis fragen

Weitere Kostenlose Bücher