Wildnis
wie ein väterlicher Beschützer, während er ihr über die Haare strich – und unpassend erregt. Er wollte ihnen beiden die Peinlichkeit ersparen und sich zurückziehen, ehe sie es merken würde. Doch sie drückte ihren Kopf noch fester gegen ihn und flüsterte: „Bleib bei mir heute Nacht. Ich brauche dich.“
Er streichelte weiter ihren Kopf und lauschte dem Donner, bis Laura hereinkam. „Tut mir leid, ich will euch nicht zuschauen.“ Sie warf einen Blick durch beide Fenster. „Habe mich extra bei euch beeilt. In den anderen Zimmern lass ich mir mehr Zeit. Vor zehn Minuten bin ich nicht zurück!“
Jenny schlang ihre Arme um Jans Hals. Er befreite sich. Im Blitzlicht sah er, dass die schmalen Träger ihres Pyjamas von ihren Schultern glitten. Sein Verlangen war zu stark. Er warf Hose und Pullover ab und legte sich zu ihr. Die warmen Laken waren erfüllt von ihrem Duft. Sie schmiegte sich an ihn, schien in ihn hineinzuschmelzen. Er schob seinen Arm unter ihrer Taille hindurch und drückte sie fester. Ihre nackten Beine umschlossen seine, ihre Hitze drang in seine Haut. Wie eine glühende Welle floss sie über seinen Körper. Er schob sie von sich. „Jenny ...“
„Bleib nur bei mir“, flehte sie und legte ihren Kopf auf seine Brust. Er ließ sich zurücksinken.
Greg würde Anna vergewaltigen. Der Gedanke dröhnte in ihm, immer wieder, immer ferner, wie eine Pauke ...
Mit einem Schlag fuhr er auf. Jemand war in den Raum getreten. Er war eingeschlafen!
„Wer ist da?“, fragte er. Ein Sturm pfiff ums Haus, Regen peitschte ans Fenster, die Messingglocke schlug in unermüdlicher Panik.
„Michael.“
„Wer war vor dir mit der Wache dran?“ Jan hielt den Atem an. Bitte nicht Greg! Nicht Greg!
„Laura.“
Jan atmete erleichtert aus. „Wer kommt als Nächstes?“
„Greg. Wieso?“
„Schon gut. Wie viel Uhr ist es?“
Michael zog sein Handy aus der Hosentasche. „Kurz –“ Das Plattern des Regens überdeckte seine Stimme. „In zehn Minuten kann ich mich endlich hinlegen.“
„Danke“, sagte Jan und drehte sich um. Am liebsten wäre er aufgestanden, um nicht wieder einzuschlafen. Der Sturm rüttelte am Dach. Holz ächzte.
Als Michael das nächste Mal hereinkam, atmete Jan gleichmäßig weiter.
Bald darauf trat wieder jemand ins Zimmer. Jan erkannte Gregs Konturen im faden Licht ferner Blitze. Greg kontrollierte beide Fenster und näherte sich Jan, der sich bemühte, weder die geschlossenen Augen zuzukneifen noch zu blinzeln.
War Greg abgezogen? So wie der Regen gegen das Haus klatschte, konnte sich Jan nicht sicher sein. Vorsichtig öffnete er ein Auge. Greg war nicht mehr da.
Die Zeit verstrich. Jennys Hand suchte ihn und blieb an seinem Rücken liegen. Bald könnte er Anna haben, hatte Greg gesagt. Dieses Monster durfte sie nicht schänden, ihren geschmeidigen Körper nicht berühren, seine Hände nicht in ihren Locken vergraben, ihre Lippen nicht küssen. Sie gehörte ihm! Nein, sie gehörte niemandem und Gregs Versprechen war entsetzlich! Er war so aufgewühlt, nicht einen klaren Gedanken konnte er mehr fassen, und dabei kam es jetzt mehr denn je auf ihn an.
Hätte Greg nicht längst wieder auftauchen müssen? Michael war nicht so lange ausgeblieben. Und Laura hatte für ihre extra-langsame Runde zehn Minuten veranschlagt. Seit Gregs letztem Besuch mochte eine Viertelstunde vergangen sein. Sollte er aufstehen und nach dem Rechten sehen? Er könnte sich damit herausreden, dass er im Bad einen Schluck trinken wollte.
Er rutschte vorsichtig zum Rand des Bettes, hob die Decke an und stand auf. Jenny gab einen klagenden Ton von sich, schlief jedoch weiter. Er zog die Tür auf, trat mit hängendem Kopf auf den Flur hinaus und schlurfte zum Bad. Nichts war zu hören als das Heulen des Sturmes und das Prasseln des Regens.
Drinnen schob er den Riegel vor die Badezimmertür. Kalte Luft blies durch die Fensterritzen. Er musste zu Ruhe kommen, durchatmen, das Fiebrige, Zwanghafte dieser Nacht abschütteln.
Hatte ihn Anna mit ihrem Verfolgungswahn angesteckt? Weder Laura noch Jenny noch Michael reagierten auf die Gefahr, die Anna auf sich zukommen sah. Was, wenn der Vorfall in der Speisekammer wirklich ein Irrtum war? Aber Greg hatte seine Absichten deutlich kundgetan. Oder hatte er Greg missverstanden? Jan dachte an den gestrigen Abend, wie ausgelassen sie den Hasenbraten verzehrt, wie begeistert die Anderen sein Gedicht aufgenommen hatten.
Ihn fröstelte.
Er schaute in sein bärtiges
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