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Wildnis

Wildnis

Titel: Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valentin Zahrnt
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fragen? Aber was sollte er antworten? Darüber hatte er gar nicht nachgedacht. „Er ist verwirrt, seine Augen zucken, er spricht nicht. Die Verbrennungen werden heilen.“
    „Kannst du mir verzeihen?“
    Was wollte sie wirklich wissen? Ob er auch so gehandelt hätte? Hoffte sie auf Absolution? Nein, in ihrer Stimme hatte etwas Anderes mitgeschwungen. Als habe sie ihn gefragt: „Kannst du mich noch lieben nach dem, was ich getan habe?“
    Er wechselte vom Stuhl auf den Rand des Bettes und strich ihr die Haare aus dem Gesicht. Sie schloss die Augen und lächelte.
    Ihr Lächeln verblasste. „Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas tun könnte. Er hat mich dazu gezwungen und trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich bestraft werden muss.“
    „Ich verstehe dich“, sagte er. „Und ich werde dich nicht verlassen, ehe du dir nicht verziehen hast.“ Aber verstand er sie wirklich? Nicht nur die Reue, auch die Tat? „Was muss jemandem widerfahren, damit er den Verstand verliert?“, murmelte er.
    „Psilocybin.“
    „Was?“
    „Pilze.“
    „Er hat Pilze gegessen?“
    „Nicht freiwillig.“
    „Du hast ihm giftige Pilze gefüttert?“
    „Ja.“
    „Woher hattest du die auf einmal?“
    „Ich hatte Angst, dass er mich nochmals anfallen könnte. Also habe ich die Pilze am Vormittag gesammelt, um sie ihm gegebenenfalls ins Essen zu schmuggeln. Noch bevor ich den Kojoten entdeckt habe.“
    Jan vollzog den Ablauf nach. „Du kennst dich damit aus?“
    „Eine Freundin hat damit eine Zeitlang rumgemacht.“
    „Psilo ... cybin, was verursacht das?“
    „Euphorie. Deswegen haben es schon die Naturvölker für ihre Riten verwendet.“
    „Sonderlich euphorisch wirkt er nicht.“
    „Es verfremdet auch die Wahrnehmung und bewirkt Halluzinationen, wie LSD.“
    „Du hast ...“ Jan packte sie an der Schulter und ließ sogleich los. „Du hast ihm etwas wie LSD gegeben und ihn auf einen Horrortrip geschickt?“
    „Was hätte ich tun sollen? Nur du warst bereit, mir zu helfen, die Gruppe hat mich ihm ausgeliefert. Weißt du, vor welche Wahl mich Michael gestellt hat, als er auf seinem Rundgang eine knappe Stunde vor Greg zu mir kam? Willst du es hören? Greg oder er! Natürlich nicht so krass. Selbst wenn ich dir sein Rumgedruckse Wort für Wort wiedergeben würde, könnte er sich herausreden. Aber ich schwöre dir, hätte ich ihn in mein Bett gelassen, hätte er mir versprochen, Greg fernzuhalten. Ob er sich daran gehalten oder mich Greg überlassen hätte, wer weiß?“
    „Das glaube ich dir nicht!“ Jan wurde schwindelig.
    „Wie du willst.“
    „Was hat der Trip mit Gregs Gehirn angerichtet?“
    „Die Effekte sind sehr individuell: Paranoia, Manien, Psychosen, vor allem Schizophrenien. Keine Ahnung, wie Psilocybin in Kombination mit extremen Schmerzen wirkt.“
    Jan fühlte sich betäubt. Anna fuhr fort: „Und noch etwas wird ihm die Fassung genommen haben: die Zerstörung seines Selbstbildes. Er hat gelebt wie in einem Ego-Shooter-Spiel. Jetzt hat plötzlich eines der Opfer den Spieß umgedreht. Er kann sich nicht mehr allmächtig fühlen. Und er sieht, was für ein ekelhafter Sadist er ist. Zumindest wenn er kapiert hat, dass die Anderen genauso leidensfähig sind wie er.“
    „Das hast du davor nicht geplant, dass all das zusammenkommt, die Drogen und die Schmerzen und die Erniedrigung, das hast du erst danach erkannt, nicht wahr?“ Jan bohrte seinen Blick in ihren, und da sie nicht sogleich antwortete, fügte er schnell an: „Wie lange wird es dauern, bis er sich davon erholt?“
    „Wenn ich das wüsste. Ich hoffe, lange genug.“
    Jan führte ihren Gedanken zu Ende. „Damit er erst zu sich kommt, wenn wir das alles hinter uns haben. Denn sobald er sich erinnern und wieder sprechen kann, wird er dich verraten.“
    „Dann hätte ich weniger Angst vor ihm.“
    Jan musste nachdenken, ehe er den Sinn der Antwort verstand. „Du meinst, er könnte in seinem Wahnsinn auf dich losgehen?“
    „Wohl kaum. Psilocybin kann zwar gewaltsame Reaktionen hervorrufen, aber ich glaube, das ist auf die unmittelbare Wirkungsphase beschränkt. Ich fürchte nicht, dass er wahnsinnig ist, sondern dass er den Wahnsinnigen spielt.“
    Jan erschauderte. „Er liegt in seinem Bett und wartet, wir vergessen ihn mehr und mehr – und plötzlich schlägt er zu.“
    „Es kommt noch schlimmer.“ Anna blickte nervös hinter sich zur Tür. „Vielleicht täuscht er Schuldunfähigkeit vor. Solange er nicht Herr seiner Sinne ist, kann

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