Wildnis
gewartet, nun musste er Anna warnen.
Sie lehnte am Kopfende ihres Bettes, die Decke hinter dem Rücken zusammengerollt. Als Jan sich zu ihr setzte, legte sie Buch und Taschenlampe beiseite. Schweigend hörte sie sich seinen Bericht von der Unterredung mit Greg an.
„Du wirst heute Nacht nicht hier schlafen! Nimm deine Matratze zurück ins Jungenzimmer! Nein, schlaf bei Jenny.“
„Warum schickst du mich weg?“
„Weil Greg –“ Ein Donnerschlag unterbrach sie. „Weil Greg heute Nacht kommen wird.“
„Du willst dich fügen? Du willst ... Du hast mir vom Stolz erzählt, den man nie opfern –“ Sie ergab sich, wie Jenny es getan hatte! Er wollte aus dem Zimmer stürzen, doch Anna zischte: „Verschließ die Tür!“
Kaum hatte er den Schlüssel umgedreht, machte sie die Taschenlampe an und zog ihn zu sich aufs Bett. Sie richtete den Strahl auf zwei Papiertaschentücher, die auf dem Bettgestell an der Wandseite lagen, und hob eines an. Die Schneide eines Filetiermessers!
„Bist du verrückt? Du willst ihn erstechen?“
Ein Blitz erhellte den Raum. Der Donner folgte wenige Sekunden darauf. Als er verklungen war, flüsterte sie: „Ich hätte große Lust dazu. Aber ich werde ihm bloß Angst einjagen. Eine solche Angst, dass er die Finger von mir lässt.“
„Das ist viel zu gefährlich. Du darfst die Tür nicht mehr abschließen. Irgendwann während seiner Runde wird Greg sich auf dich werfen. Vielleicht nicht beim ersten Mal, wenn er in dein Zimmer kommt, sondern beim dritten oder fünften. Und selbst wenn du ihn mit dem Messer auf Abstand halten kannst ... Ihr redet, du willst ihn einschüchtern – und schon hat er es dir abgenommen.“
Sie rückte von ihm ab. „Ich bin schnell.“
„Er kann damit rechnen, dass du Vorkehrungen getroffen hast und dich mit irgendeinem Vorwand in seine Reichweite locken. Dann begutachtet er dich mit seiner Taschenlampe. Wie erklärst du ihm dein Messer? Dass du noch etwas genascht hast?“ Sie schwieg. Er drang weiter auf sie ein: „Oder er kommt ebenfalls bewaffnet zu eurem Rendezvous. Eine Messerstecherei auf zehn Quadratmetern, das ist doch der blanke Wahnsinn!“
„Ich habe keine Wahl.“
„Doch! Ich kann bei dir bleiben.“ Er legte einen Arm viel zu fest um ihre Schulter.
Sie schüttelte ihn ab. „Wir können nicht immer zu zweit sein. Irgendwann überrascht er mich, wenn ich alleine bin. Ich muss mich heute Nacht stellen.“ Sie umschlang ihn, doch sogleich zog sie sich zurück und schob ihn vom Bett. „Komm vor morgen früh nicht wieder! Ist das klar? Egal, was du hörst, bleib bei Jenny!“
Er stand vor ihr. „Was wenn du ... wenn du einen epileptischen Anfall hast? Du hast mir erzählt, dass Stress –“
„Ich hätte es für mich behalten müssen. Das ist vorbei. Vorbei! Verstehst du?“ Die letzten Worte hatte sie geschrien.
„Ich habe Angst um dich“, flüsterte er.
„Geh!“
Er taumelte in den Flur. Ein gleißendes Licht, ein elektrisiertes Knacken, gleich darauf ein Bersten – der Blitz musste in unmittelbarer Nähe eingeschlagen haben.
Jan lehnte sich an die Wand.
Laura kam aus dem Mädchenzimmer in den Flur. „Wenn uns der Blitz grillt, kann uns der Mörder nicht mehr auf kleiner Flamme schmoren lassen.“ Sie kicherte und verschwand im Bad.
Sollte er Michael einweihen? Warum setzte sein Freund Greg nichts entgegen? Warum tat er dessen Umgang mit Jenny schulterzuckend ab? Warum rechtfertigte er Gregs Überfall auf Anna mit einem inszenierten Freispruch? Jan verstand ihn nicht – und vertraute ihm nicht. Zu groß war die Gefahr, dass er Greg alarmieren, Annas Plan vereiteln würde. Was war nur aus Michael, was aus ihrer Freundschaft geworden?
Wieder ein berstender Schlag. Das Gewitter musste genau über ihnen sein. Er wollte sich verkriechen wie ein Tier. Wohin? Zu Jenny? Er würde sie nicht mehr berühren, sie hatte mit Greg geschlafen. Und er liebte Anna! Anna, die sich nicht in seinen Schutz begab, die ihn wegstieß, nie zu sich lassen würde. Konnte er diese Nacht in Jennys Bett verbringen? Während Anna in Gefahr schwebte?
„Sie wartet nur auf dich!“ Laura war wieder in den Flur getreten. „Du warst nicht der Erste, zumindest könntest du der Letzte werden.“ Sie lachte schrill. „Ich meine natürlich, dass ihr zusammen hundert werdet.“
Jan klopfte und schob die angelehnte Tür auf. Jenny lag in der Dunkelheit. Er setzte sich zu ihr ans Bett. Sie zitterte und schob ihren Kopf auf seinen Schoß. Er fühlte sich
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