Wildnis
liebevoll. Jetzt war er froh, dass er nicht im Bett lag. Und auch nicht bei den Anderen herumstand.
Den Spott von Greg und Laura würde er wegstecken, die konnten ihn nicht erreichen. Eigentlich. Nur hin und wieder ließ er sich treffen, aber das würde er in Alaska abstellen. Vielleicht war es sogar gut, dass die beiden mitkamen. Vielleicht gehörte die Abhärtung zum großen Wandel. Was wäre er nicht alles bereit zu tun und zu erdulden, um nur endlich so souverän und populär wie Michael zu werden! Oder wenigstens ein bisschen erfolgreicher bei den Mädchen.
Er strich mit den Fingern über das Schilf. Die Halme bogen sich zur Seite und richteten sich wieder auf. Er lächelte zufrieden und lief den Pfad zurück zum Kiesweg, der sich um den kleinen See schlängelte und wieder zum Schloss führte. Wie gut es sein würde, seinen Eltern für einen Monat zu entkommen. Er vertrug sich mit ihnen und ertrug sie doch nicht länger. Ertrug am wenigsten, dass er nichts zu greifen bekam, wogegen er Widerstand leisten konnte, dass das ganze Haus so wackelig stand, dass er nicht einmal eine Tür zuzuschlagen wagte.
Er hatte sich dem Schloss genähert und hörte bereits den fröhlichen Lärm, als ihm zwei Gestalten entgegenkamen. Da er niemandem begegnen wollte, drückte er sich zwischen die Büsche.
„... keine Sorgen“, glaubte er, Michael sagen zu hören. Dann deutlicher: „Um die Hütte kümmern wir uns. Du brauchst nur den Flug zu bezahlen. Und einen Anteil an den Ausgaben vor Ort, aber die nächste Cocktailbar wird ein paar hundert Kilometer entfernt sein, da fällt nicht viel an, nicht mal mit Laura und Greg.“
„Ich muss mit meinen Eltern darüber sprechen“, sagte Jenny. „So weit weg, ganz allein, ich meine, ohne Familie.“
„Mit guten Freunden, die du seit langem kennst. Die auch nicht darauf stehen, sich in Clubs das Trommelfell und die grauen Zellen rauszublasen, und lieber etwas unternehmen: wandern, fischen, Lagerfeuer und so.“
„Ich habe so etwas noch nie gemacht. Ich weiß gar nicht, ob mir das liegt. Und gleich vier Wochen ...“ Ihre Stimme wurde zu leise.
Jan trat zurück auf den Weg. Nach einigem Abwägen folgte er den beiden. Als angeheiterte Stimmen zu ihm drangen, beschleunigte er.
„Da bist du ja wieder.“ Michaels Stimme klang einladend. Wahrscheinlich wollte er Jan das Dazustoßen erleichtern. „Hat dich die Muse beim Nachtwandeln geküsst – oder eine geheime Verehrerin?“
„Ich habe nur ein bisschen viel getrunken. Und gekifft. Das Rumlaufen hat mir gut getan. Wie steht‘s bei euch?“ Trotz der Dunkelheit meinte Jan, von Michaels Gesicht die Zufriedenheit über seinen Einstieg ablesen zu können. Also setzte er frohgemut hinzu: „Hi Laura, hi Jenny.“
„So gut drauf?“ Laura artikulierte überdeutlich mit ihren kirschroten Lippen. Merkte sie das gar nicht oder strengte sie sich an, um nicht ins Lallen zu verfallen? „Michael, kümmerst du dich auch so um mich, wenn‘s mir mal schlecht geht?“
„Wird nicht vorkommen“, antwortete Michael. „In Alaska wirst du vier Wochen am Stück high sein.“
„Dann täusche ich einen mega-miesen Tag vor, nur damit du mich verwöhnst.“
„Mach dir da mal keine Sorgen.“ Greg grinste. „Ich habe noch keine Frau erlebt, die während eines Monats nicht rumgezickt hat.“
„Und ich habe noch nicht eine Stunde mit dir verbracht, ohne mir zu denken, was für einen fickigen, oh, Entschuldigung, was für einen verfickten, das ist auch nicht besser.“ Sie hängte sich mit einem Arm um Greg und stieß mit ihm an. „Du machst die doofsten Sprüche, Mann, aber am Ende muss ich doch immer lachen.“ Beide lachten.
„Ladies and Gentleman“, Michael öffnete die Arme, „wir sind uns also einig: Wir nehmen noch Anna an Bord und dann heben wir ab nach Alaska!“ Er streckte die Arme zur Seite wie Flügel.
„He, he, halt! Du hast uns immer noch nicht erklärt, warum es ausgerechnet Anna sein muss.“ Laura streckte die Nase nach oben und wippte mit dem Kopf hin und her, ohne jemanden wahrzunehmen. Dazu hauchte sie: „Ich bin zu schön für euch, ich sehe euch gar nicht und ich tue so, als wenn ihr mich auch nicht seht. Die Schule ist aus, auf Wiedersehen. Ach, da habe ich doch ganz vergessen, dass wir uns ohnehin nicht sehen können.“
Greg brüllte vor Lachen und dazwischen war Jennys heller Klang zu hören.
„Komm, Laura, wir haben alle unsere Fehler“, sagte Michael amüsiert. „Sie ist nicht so arrogant, wie du
Weitere Kostenlose Bücher