Wildnis: Thriller - Band 2 der Trilogie
zügelloses Dasein mit sich brachte. Albert hatte Olivers Leben einen Sinn gegeben, an den er sich halten konnte, wenn die Droge Lust ihre Wirkung verweigerte: die Rache für die große Kränkung, kein Gott zu sein – oder ohne Lucia existieren zu müssen, wie Oliver es nannte.
Ein Flügel der Doppeltür wurde aufgerissen und Logann stieß einen bulligen Mann herein. Zwischen seinen Füßen klirrte eine Kette, die Hände waren hinter der lockigen Mähne zusammengeführt.
„ Ich bin nur ein Profi, ich habe nichts –“ Die Stimme des Mannes überschlug sich. „Ich habe nichts mit Albert zu tun, nichts! Er hat mich angerufen und mir eine halbe Million versprochen, das ist –“
Logann trat ihm in die Kniekehle und der Mann krachte zu Boden. Nun sah Jan, dass eine Kette von den Händen zu den Beinfesseln führte.
„ Lucky, so nennst du dich doch?“ Oliver lächelte ihn an. „Du kommst mir sehr gelegen. Mein lieber Logann kennt mich gut.“
„ Ich bin einer der Besten, ich werde alles für dich tun, was –“ Logann machte einen Schritt auf ihn zu und er schwieg.
„ Lucky, ich weiß, dass du nichts Böses wolltest“, sagte Oliver. „Es war nur ein Job.“
„ Genau“, winselte Lucky.
Oliver griff sich an die Innenseite der Wade und zog eine Pistole aus einem verborgenen Schlitz in der Hose. Logann trat zurück zur Tür.
„ Tu mir nichts!“ Lucky krümmte den Oberkörper in die Höhe. „Ich kann dir nützlich sein.“
„ Nichts gegen dein Metier, Lucky, es duldet nur kein Versagen.“ Oliver drückte ab und Lucky wurde zurückgeschleudert. „Kümmert euch um die Anderen. Und bring die Sprengsätze an.“
Logann schloss die Tür hinter sich.
Oliver steckte die Pistole in den Gürtel hinter seinem Rücken und kam auf Jan zu. Das Weiß der Augen strahlte im blutverschmierten Gesicht. Über die Wange zog sich die Bahn einer getrockneten Träne. Hatte er um Lucia geweint?
„ Albert hat dir Lucia geraubt, lass Anna und mich glücklich sein!“, flehte Jan.
Es schien, dass seine Worte Oliver nicht erreichten. Schließlich hob Oliver einen Arm, wischte sich die Tränenspur von der Wange und flüsterte: „Anna.“
„ Lass uns leben!“
„ Keine Andere ist mir je so gelungen.“
Angst schnürte Jan die Kehle zu. Er sah die Eiskunstläuferin, ihre geschminkten Augen unter einem Schleier von Schnee, und ahnte, was es bedeutete, wenn Oliver eine Frau gelungen war. „Was hast du mit ihr getan?“
„ Ich habe sie gestickt.“
Unwillkürlich zerrte Jan an der Kette.
„ Ich habe sie unsterblich gemacht mit meinen Bildern.“ Ein entrücktes Lächeln. „Und ich werde mich unsterblich machen in ihr.“
„ Anna liebt mich! Sie gehört zu mir!“
Oliver blickte Jan verächtlich an. „Hast du sie dir erkämpft? Du bist ein Feigling. Ich habe mir euer Sommerlustspiel angesehen. Es wäre schade gewesen, euch zu früh zu unterbrechen. Ideen kommen mit der Zeit, und ich bin ein Künstler. Ein großes Werk wie Alberts Tod konnte mir nur gelingen, wenn ich in jedem Detail die Inspiration suchte.“ Olivers Stimme vibrierte vor Stolz. „Greg hat mir besonders gefallen, er hatte die richtige Gesinnung, diesen hemmungslosen, eitlen, rachsüchtigen Egoismus. Und die kleine Jenny, die so harmlos tat und so untröstlich heulte, weil sie ihr kleines bisschen Haut zu Markte getragen hatte – aber dann hat sie ihn abgeknallt, ihren Käufer. Mein privates Reality-TV – herrlich! Enttäuscht hat mich nur mein kümmerlicher Nachkomme. Du hattest weder den Mumm, zuzugreifen wie dein Kumpane Greg, noch ihm die Finger zu brechen, damit er nicht deinen Apfel pflückt.“ Oliver kam näher an Jan, der das Gesicht wegdrehte. „Du sitzt nur unter dem Baum und plärrst, bis dir dein Apfel in den Schoß fällt.“ Er griff ihm mit der blutigen Hand unter das Kinn und zog es zurück zur Mitte. „Wie kannst du gehemmter Spießer mein Enkel sein?“
„ Lass Anna in Ruhe!“, schrie ihm Jan ins Gesicht.
Oliver lächelte. „Du machst dir also Sorgen um Anna? Willst du wissen, was ich mit ihr vorhabe?“
Jan hätte am liebsten den Pfosten ausgerissen, um damit Oliver zu erschlagen.
„ Nur zu, schrei!“ Oliver entfernte sich einige Schritte. „Als Lucia verschwunden war, habe ich wie ein Wolf geheult. Aber man kann nicht jede Nacht heulen, und ich habe seitdem unzählige schlaflose Stunden verbracht.“ Er holte das blutgetränkte Tuch aus einer Hosentasche und betrachtete es. „Hat sie nicht kunstvoll gestickt?
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