Wildnis: Thriller - Band 3 der Trilogie
schlafen!“
Sie schien in Gedanken verloren. Jan wartete und hoffte. Zuletzt flüsterte sie ebenso leise wie zuvor: „Du willst, dass ich dich mit mir schlafen lasse.“
Jan lachte auf. Das war das Ergebnis ihrer Reflexion? „Stell dich nicht dumm, Anna. Ich weiß, du hattest Epilepsie.“ Er hörte seinen gereizten Ton, bremste sich und sprach sanfter: „Ich verstehe, dass du die Kontrolle nicht verlieren möchtest. Aber das musst du ja gar nicht. Wir können ganz kleine Schritte machen und ich verspreche dir, dass ich dich zu nichts zwinge. Wir müssen nicht gleich miteinander schlafen, wir können uns erst daran gewöhnen –“
„ Du hast die Antiepileptika gefunden?“
„ Ja.“
„ Das dachte ich mir. Der Beipackzettel ist weg.“ Sie zitterte.
Verwundert, dass ihr das so schnell aufgefallen war, nahm er sie in den Arm. „Hattest du wieder einen Anfall?“
Sie schluchzte.
„ Wir kriegen das hin, alles wird gut. Mach dir keine Sorgen, gemeinsam schaffen wir das.“ Er streichelte über ihren Rücken. „Es ist gut, mein Herz, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Das war alles sehr anstrengend mit der Polizei. Jetzt erholst du dich erstmal und schon sieht die Welt wieder ganz anders aus.“
„ Er ... Er ...“ Ihre Tränen drangen durch das T-Shirt auf seine Haut.
„ Wir brauchen jetzt nicht darüber zu reden, das kann warten.“
Sie krallte sich an ihn. „Er hat ...“
Was wollte ihm Anna so unbedingt mitteilen, ohne es über die Lippen zu bringen? Sie musste von Rainer sprechen. Was hatte er ihr getan? War sie doch bei dem Sturz zugegen gewesen?
„ Komm mit.“ Er führte sie ins Wohnzimmer und setzte sich neben sie auf die Couch. Tropfen hingen an den Fensterscheiben.
Anna rutschte weiter hinab, bis sie zusammengerollt wie ein Baby dalag, den Kopf auf seinem Schoß. Er strich ihr über die Locken und fragte sich, welche fürchterliche Erinnerung darunter verborgen lag. Sollte er nachhaken, falls sie nicht mehr darüber sprechen wollte, oder war es besser, sie zur Ruhe kommen zu lassen und die Enthüllung aufzuschieben?
Anna bat um ein Blatt Papier. Er erhob sich und reichte ihr den Notizblock, der neben dem Telefon auf dem Regal zwischen den Fenstern lag.
Sie schrieb nur ein Wort, faltete den Zettel und drückte ihn Jan in die Hand. Er öffnete ihn. Darauf stand: „Oliver“.
Jan konnte nicht anders, er packte sie an den Schultern und schrie: „Was hat er mit dir gemacht?“
Sie starrte ihn an und schüttelte panisch den Kopf.
„ Sag es mir!“
Er sah die Tränen über ihre Wange laufen und fühlte sich machtlos, gelähmt von der Furcht, den Gedanken zu Ende zu denken, den er doch schon längst gedacht hatte: Mehrere Stunden hatte Oliver sie in Gefangenschaft gehalten, ehe er mit ihr zu Albert gefahren war. Er hatte sie doch vergewaltigt. Und all der Schmerz, die Erniedrigung, der Ekel, die Ohnmacht, die sie dabei empfunden hatte, mussten ihre Epilepsie erneut ausgelöst haben.
Jan zog sie zu sich und hielt sie in seinen Armen.
Lange saßen sie aneinandergelehnt, ehe sich Anna rührte. Er ließ sie los und schaute betreten hinaus. Gegen die dunklen Fenster auf der anderen Hofseite zeichnete sich Sprühregen ab, während er vor der hellen Hauswand unsichtbar blieb.
„ Ich will spielen“, sagte Anna.
Jan war verdutzt.
„ Spielst du mit mir?“
„ Wenn du willst.“ Er überlegte, welches ihrer Brettspiele am ehesten passen würde. Eines, das sie gut ablenken würde.
„ Was spielen wir?“
„ Worauf du Lust hast.“
„ Wo sind meine Puppen?“ Sie schaute sich um, ein Hauch Vorwurf schwang in ihrer Stimme mit.
Er war so perplex, dass er auf diese unsinnige Frage einging: „Ich weiß nicht, wo du deine Puppen hingelegt hast.“
Mit kindlichem Ernst erklärte Anna: „Ich gehe sie suchen.“
„ Ja, mach das mal.“ Jan blieb sitzen und wunderte sich, was das sollte. Plötzlich schüttelte er den Kopf und lachte: Er hatte sich umsonst erschrocken! Was immer ihr Hinweis auf Oliver bedeuten mochte, er konnte sie nicht vergewaltigt haben. Wenn Anna jetzt zu so etwas aufgelegt war ... Gott sei Dank!
Der Regen fiel dichter. Jan lauschte dem leisen Trommeln. Dazwischen hörte er schmatzende Geräusche, die aus der Küche kamen. Irritiert ging er nachschauen.
„ Was zum Teufel machst du da?“, entfuhr es ihm. Sie saß am Boden, die Finger mit Schokolade beschmiert. Mehrere aufgerissene Tafeln lagen vor ihr aufgehäuft.
„ Nicht böse sein“, bettelte sie,
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