Wildnis: Thriller - Band 3 der Trilogie
„ich muss mich trösten.“
„ Aber warum sitzt du am Boden?“
Sie sammelte die Schokoladentafeln ein. „Ich weiß, ich soll am Tisch essen.“
Jan fehlten die Worte. Ihr Verhalten war unheimlich.
Sie legte die Tafeln auf den Tisch und stopfte sich ein Stück in den Mund.
„ O.k., Anna, das reicht.“ Er wusste nicht, ob er sich ärgern oder fürchten sollte.
Sie brach eine Rippe Nougat-Schokolade ab und nuschelte: „Nur noch das.“
„ Von mir aus kannst du so viel davon essen, bis du platzt! Aber hör endlich mit dem Mist auf!“
„ Habe ich zu viel Schokolade gegessen?“, fragte sie weinerlich.
„ Anna!“
„ Ich muss mich trösten.“
Offensichtlich war sie nicht bereit, sich wieder normal zu verhalten. Vielleicht würde es ihr so leichter fallen, ihm anzuvertrauen, was sie belastete. Eine Art Rollenspiel. Also fragte er: „Was macht dich denn traurig?“
Sie presste die Lippen aufeinander, als würde sie gleich losheulen.
„ Du kannst mir alles sagen.“ Es war seltsam, sich so sprechen zu hören, dennoch blieb er in seiner Rolle. „Du weißt, dass ich nicht böse werde.“
Ihr verletzter Blick traf ihn ins Mark. Als zweifle sie aus gutem Grund an seiner Verlässlichkeit. Noch während er sagte: „Ich verspreche dir, dass ich nicht schimpfen werde“, hatte er das Gefühl, nicht richtig auf sie eingegangen zu sein.
Sie zögerte, dann sagte sie trotzig: „Du glaubst mir nicht.“
„ Aber du hast mir doch noch gar nichts gesagt!“
„ Du willst mir nie zuhören!“
„ Ich bin ganz für dich da.“ Er setzte sich. Sogleich ließ sie sich auf seinem Schoß nieder. Ein viel zu schweres Kind.
„ Hast du mich lieb?“
Er legte ihr die Arme um die Taille. „Und wie ich dich lieb habe!“
Sie kuschelte ihren Kopf an seine Schulter und schwieg.
„ Was wolltest du mir erzählen?“ Er wiegte sie sacht. Eigenartig, wie sehr er in seiner Rolle aufging! Sie spielte so gut, dass er sich wie ein Vater vorkam. Eine gespenstische Verwandlung. „Willst du es mir nicht sagen?“
Sie machte Anstalten, von seinem Schoß abzusteigen. Er hielt sie fest. „Warte, sag mir erst, was dich traurig macht.“
Sie versuchte ungelenk, sich freizumachen.
„ Warum hast du mir den Zettel mit Olivers Namen gegeben?“
Sie strampelte immer wilder. Er traute sich nicht, sie loszulassen, aus Angst, sie könnte zu Boden fallen oder sich am Tisch stoßen.
„ Hiii!“, kreischte sie, schnappte nach Luft und setzte sogleich wieder ein, grell und monoton. Sein Trommelfell schmerzte.
„ Ruhig! Hör auf damit!“
Sie riss eine Hand los und traf ihn an der Wange, ehe er sie wieder packen konnte.
„ Sei still!“, schrie er.
Immer panischer warf sie sich hin und her, immer schwerer fiel es ihm, sie unter Kontrolle zu halten. Dann kippte der Stuhl und er stürzte auf sie.
Bevor er sich von ihr wälzen konnte, warf sie ihn ab. Er prallte gegen den Küchenschrank, als habe ihn eine Geisterhand dagegen geschleudert.
Er spürte keinen Schmerz, nur Fassungslosigkeit, fast körperlich. Eben hatte sie sich noch vergeblich aus seinem Griff zu befreien gesucht, obwohl er sie nur schonend festgehalten hatte, damit sie sich nicht wehtat – und nun, da er mit seinem ganzen Körpergewicht auf ihr gelegen hatte, hatte sie ihn mit einem Ruck abgeworfen.
Sie schnellte in den Stand und stieß den kleinen Küchentisch um. Eine Vase mit verwelkten Astern ging zu Boden und rollte zur Wand. Jan fragte sich, ob sie heilgeblieben war, da streifte ihn etwas am Kopf. Die Pfeffermühle zerbrach zwischen seinen Füßen, überall gingen Gewürzstreuer nieder. Er hob schützend die Arme und blickte auf.
Anna riss das Bord, auf dem die Gewürze gestanden hatten, aus der Verankerung und zertrümmerte es auf dem Herd. Die Glaskeramikplatte splitterte. Das riss Jan aus seiner Benommenheit. In der Umkleidekabine hatte er sich einschüchtern lassen. Aber jetzt ging Anna zu weit. Was immer sie da abreagierte, er würde sie nicht ihre gemeinsame Küche verwüsten lassen!
Er rappelte sich auf und brüllte: „Stop! Hör auf! Hast du sie noch alle?“
Sie starrte ihn an, die Augen zu Schlitzen verengt. Doch sie bewegte sich nicht, seine Aggressivität schien zu wirken. Also schrie er: „Du spinnst ja! Benimm dich wie ein normaler Mensch und nicht so völlig –“ Er hatte das Gefühl, einen Fehler begangen zu haben. Was immer sich in ihrem Ausdruck geändert hatte, überzeugte ihn, dass er sie nicht hätte herausfordern
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