Wildnis: Thriller - Band 3 der Trilogie
dürfen.
Er machte einen Schritt nach hinten und hob beschwichtigend die Hände. Das bremste ihren ersten Schlag, der sein Gesicht nur touchierte. Der zweite traf ihn mit voller Wucht am Hals, sein Kopf wurde nach hinten gerissen, für einen Moment glaubte er, das Bewusstsein zu verlieren.
Sie stürzte auf ihn zu, rutschte auf dem Durcheinander am Boden aus und schlug mit dem Mund gegen seine Faust, die er abwehrend ausgestreckt hatte.
Mit einem wütenden Schrei zog sie sich zurück. Blut tropfte von ihren Lippen, in ihren Augen brannte die Mordlust. Die geweiteten Pupillen, die zuckenden Züge ihres Gesichtes, die gespannte Haltung ihres gesamten Körpers zeugten von ihrer Besessenheit.
Ihre linke Hand glitt langsam über die Anrichte neben der Spüle, fast hätte Jan die schleichende Bewegung übersehen. Dort lag das Schneidebrett mit den geviertelten Birnen. Die Gehäuse waren bereits herausgeschnitten, das Fruchtfleisch hatte sich an der Luft bräunlich verfärbt. Schlangenhaft näherte sich ihre Hand dem Messer.
Jan machte einen Satz nach vorne und packte ihr Handgelenk, gerade als sich ihre Finger um den Griff des Messers schlossen.
Mit der freien Hand schlug sie ihm wieder an den Hals. Der Atem blieb ihm weg, er hatte das Gefühl, dass sein Kehlkopf in die Luftröhre gerutscht war. Mit Schrecken dachte er, dass er ihrer wahnsinnigen Wut nichts entgegenzusetzen hatte. Da senkte er den Kopf, rammte ihn in ihr Gesicht und stieß sie gegen den Kühlschrank.
Ein dumpfes Geräusch.
Sie brach zusammen.
Ihr Kopf sank zur Seite, dann bewegte sie sich nicht mehr.
Es gelang ihm, ein wenig Luft einzusaugen. Er ging vor ihr in die Knie. Blut strömte aus ihrer Nase, Lippe und Augenbraue auf Seite der Narbe waren aufgeplatzt.
Er wollte zum Telefon stürzen, einen Arzt rufen. Aber wie würde er ihren Kampf erklären? Er sah den Kommissar vor sich. Zugleich wirbelten andere Gedanken durcheinander: Wieso hatte sie ihn angegriffen? Sie hätte ihn getötet! Anna, seine Freundin, die ihn liebte, hätte ihm das Messer in den Hals gerammt! Was hatte diese Rage ausgelöst?
Sie röchelte.
„ Anna, hörst du mich?“ Er nahm ihre Hand.
Die Hand blieb schlaff, ihre Augen geschlossen, das blutige Gesicht regungslos. Er legte zwei Finger auf ihr Handgelenk – der Puls war normal.
So tief er konnte, atmete er ein, fuhr mit den Armen unter ihrem Rücken und ihren Oberschenkeln hindurch und trug sie ins Schlafzimmer. Dort legte er sie auf dem Bett ab und schob ein zweites Kissen unter ihren Kopf, damit das Nasenbluten ihr nicht in den Rachen lief.
Tränen stiegen ihm in die Augen. Er hatte keine andere Wahl gehabt. Eigentlich hatte er überhaupt nicht gewählt, etwas in ihm hatte den Stoß mit seinem Kopf ausgeführt, schneller als er denken und rücksichtsloser als er handeln konnte. Ein Reflex. Doch nun lag sie da, ohnmächtig und blutüberströmt – und er hatte es getan. Mit Abscheu dachte er an den Moment, als er ihr Gesicht getroffen hatte, und wieder hörte er das dumpfe Geräusch, als ihr Hinterkopf gegen den Kühlschrank schlug.
‚ Ruhe!‘, befahl er sich, als spräche er zu einem Anderen. ‚Du bleibst ruhig und denkst nach. Du darfst jetzt keinen Fehler machen.‘
Er lief zurück in die Küche, holte Eiswürfel aus dem Kühlfach und wickelte sie in ein Geschirrtuch. Damit eilte er zu Anna und drückte es ihr an den Hinterkopf, an dem sich bereits eine Beule bildete. Doch das würde nicht helfen, falls sie innere Kopfverletzungen davongetragen hatte, die sofort behandelt werden mussten.
Er schreckte davor zurück, einen Arzt zu rufen, denn der könnte die Polizei informieren und dann würde der Kommissar denken: Wenn Anna ihren eigenen Freund grundlos attackierte, wieso nicht auch einen Tanzpartner, mit dem sie eine Affäre verbinden mochte?
War sie es gewesen?
Ja, er traute es ihr zu – und nein, nie im Leben!
Vielleicht half es, wenn er rekonstruierte, wie das Drama eben seinen Lauf genommen hatte. Alles hatte damit begonnen, dass sie spielen und Schokolade essen wollte, um sich zu trösten, wie ein kleines Mädchen, und dann war sie auf seinen Schoß gekommen und in Panik geraten, weil er darauf gedrängt hatte zu erfahren, was sie so traurig machte, und alles war eskaliert. Sie wollte ihm nicht sagen, dass Oliver sie vergewaltigt und der Stress ihre epileptischen Anfälle wieder ausgelöst hatte, und wollte doch damit nicht länger allein bleiben, wollte, dass er es wusste, und hatte deswegen ihre
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