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Wildnis: Thriller - Band 3 der Trilogie

Wildnis: Thriller - Band 3 der Trilogie

Titel: Wildnis: Thriller - Band 3 der Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valentin Zahrnt
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darüber nach, als Farid schon fortfuhr: „Letztlich ist Therapie eine Beziehung. Der Therapeut muss da sein, nicht in seinen Büchern, er muss zuhören, nicht wissen.“
    „ Das klingt schön, aber man muss doch mehr machen können als zuhören? Das konnte man ja auch schon vor tausend Jahren. Gibt es denn keinen Fortschritt?“
    Farid wiegte den Kopf, dann hielt er inne, er schien seine Antwort gefunden zu haben. „Menschen mit schweren Störungen ergeht es heutzutage sicher besser als früher, nicht nur wegen der Medikamente. Sie werden zum Beispiel von den sogenannten Gesunden nicht mehr verbrannt wie während der Hexenverfolgungen. Zugegebenermaßen war das die schlimmste Zeit für alle Nicht-Normalen, vom Dritten Reich abgesehen, aber dass wir uns um Pflege und Heilung solcher Menschen bemühen, ist eine späte Erfindung der Zivilisation. Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurden Geisteskranke in den Hinterzimmern der Bürgerhäuser verborgen oder aus armen Bauernfamilien ausgestoßen, und wenn sie für Aufruhr sorgten, in Irrenhäuser gesperrt. Das berühmteste war das Hôpital de la Salpêtrière in Paris, wo auch Freud studierte. Bis zu achttausend Zwangseingewiesene vegetierten dort vor sich hin. Und das war noch ein Fortschritt gegenüber der alten Praxis, Geisteskranke einfach zu den Straffälligen in die Zuchthäuser zu werfen. Man kettete sie an und ließ sie von den gewöhnlichen Gefangenen versorgen – soweit denen der Sinn danach stand, die Essensrationen zu teilen. Und wenn man sie hervorholte, dann um sie auf Jahrmärkten zur Schau zu stellen oder um sie zu foltern und ihnen so die Unvernunft auszutreiben.“ Farids Augen leuchteten vor Zorn, er ließ sich zurücksinken und lächelte schmerzlich.
    Jan schaute beklommen auf die Bücherregale. Manche dieser Novellen und Romane schwärmten von ritterlicher Liebe oder priesen bürgerliches Glück – und stammten aus Zeiten, als Verrückte schlechter behandelt wurden als die Tiere. „Es ist wie ein Hass der Gesunden auf die Kranken“, murmelte er.
    „ Es ist die verdrängte Angst.“
    „ Dass jeder von uns ebenso den Verstand verlieren kann?“
    „ Das und mehr.“
    Jan dachte an Annas Angriff in der Küche. „Die Menschen hatten bestimmt Angst vor Dämonen. Verrückte wirken so fremd, man kann tatsächlich glauben, dass sie von einem Geisterwesen besessen sind.“
    „ So fremd – oder so vertraut? Fürchten wir bei den Verrückten nicht gerade die innere Nähe? Dass sie uns zeigen, was wir uns verbergen, dass sie ausleben, was wir in uns unterdrücken? Hattest du nie Lust, eure Küche zu zertrümmern? Vielleicht sogar nach einem Messer zu greifen?“
    Jan stand auf und schaute aus dem Fenster. Er sah die Spiegelung des beleuchteten Raumes hinter sich, sich selbst und die hellen Birken draußen zwischen den Sträuchern.
    „ Sollen wir versuchen zu schlafen?“, fragte Farid. „Ich habe oben ein Gästezimmer, falls du hierbleiben möchtest.“
    Jan stimmte zu, dabei hätte er das Gespräch gerne fortgesetzt, um mehr über Anna zu erfahren. Er hatte nicht direkt nach ihr gefragt, da er Farid nicht in Verlegenheit bringen wollte. Als behandelnder Psychiater durfte der ihm bestimmt nichts mitteilen. Aber auch die allgemeine Unterhaltung über die menschliche Psyche hatte Jan geholfen.
    Farid geleitete ihn in den ersten Stock. Von einem langen Flur gingen zu beiden Seiten je drei Zimmer ab, wobei die zur Linken noch nicht renoviert und daher verschlossen waren. Zur Seeseite hin kam zunächst das Gästezimmer, in dem nur ein Schrank und ein Bett standen. Dahinter lägen sein Arbeits- und sein Schlafzimmer, sagte Farid, und wenn man dem Flur um die Ecke folge, gelange man zum Bad, zur Dachterrasse und über die zum Turm. Im Schrank befänden sich Bettwäsche und auch eine Zahnbürste. Er würde noch einige Gedanken notieren und dann ebenfalls zu Bett gehen.
    Jan ließ das Licht ausgeschaltet, trat ans Fenster und schaute hinunter in den Garten, über das Schilf, hinaus auf das Flimmern des Mondes im See. Wie schön es hier mit Anna sein könnte, wenn sie gesund wäre. Er stellte sich vor, die Villa würde ihnen gehören und Anna auf der Veranda tanzen.
    Er wandte sich ab, machte Licht, bezog das Bett und ging mit der Zahnbürste ins Bad. Der Türrahmen war mit Muscheln gespickt, die Tür zum Balkon hingegen schmucklos und aus Metall – wahrscheinlich hatte der General sie einsetzen lassen. Jan putzte sich die Zähne und lief dabei im bunt

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