Wildnis: Thriller - Band 3 der Trilogie
gewöhnlich. Jan hatte den Eindruck, dass auch ihm ein wenig mulmig war.
Herr Benounes legte die Hand auf die Türklinke und hielt inne. „Übrigens, ich heiße Farid. Wenn wir uns schon gemeinsam hinauswagen ...“
„ Sie wissen ja – äh, dass ich Jan bin, weißt du ja.“
„ Na dann mal los, Jan.“ Farid löschte das Licht, öffnete die Tür und blickte forschend umher, ehe er heraustrat. Jan folgte ihm und Farid schloss ab.
Die Nacht war bis auf wenige große Wolken sternenklar. Eine davon verdeckte den Mond, der Garten lag dunkler da als bei Jans Ankunft.
Das von den Eiben umfasste Gelände mochte etwa hundert Meter breit sein. Zwanzig Meter trennten die Villa von der landseitigen Hecke, dreißig oder vierzig Meter vom See. Dieser Teil fiel leicht ab und war etwas gepflegter als die Wildnis, durch die Jan gekommen war.
Sie schlichen über den Kiesweg zum Tor und blieben immer wieder stehen, um zu lauschen und in die dunklen Büsche zu spähen. Jan ließ seine Taschenlampe wie einen Suchscheinwerfer kreisen. Der Strahl reichte nicht weit, die Batterien waren schwach. Ab und an raschelte es am Boden, einmal leuchteten die Augen eines kleinen Nagers auf.
„ Was machen wir, wenn wir sie finden?“, flüsterte Jan.
„ Wir versuchen, mit ihr zu sprechen. Falls sie uns angreift, lähme ich sie. Der Schock wirkt für mehrere Minuten, in der Zeit tragen wir sie ins Haus und fesseln sie, dann lassen wir sie vom psychiatrischen Dienst abholen.“
„ Wahrscheinlich wird sie davonlaufen. Sie ist mindestens so schnell wie ich.“
„ Aller Wahrscheinlichkeit nach ist sie gar nicht da.“
Sie schlichen weiter und erreichten das verschlossene Tor. Von dort hielten sie sich links an der Hecke, an der entlang ein Streifen von Sträuchern freigelegt worden war. Der Boden war übersäht mit abgeschnittenen Strünken, man musste aufpassen, um nicht zu stolpern.
Obwohl es seit dem frühen Nachmittag nicht mehr geregnet hatte, hingen immer noch Wassertropfen im hohen Gras und der Matsch schmatzte unter ihren Füßen. Jans Schuhe und Hosenbeine waren bald durchnässt.
An einer Stelle versperrte ihnen ein mächtiger Brombeerstrauch den Weg und sie mussten sich durch das Gestrüpp weiter innen im Garten kämpfen, um ihn zu umgehen. Als sie zu den abgestorbenen Eiben gelangten, gab die Wolke den Mond wieder frei. Das bleiche Licht flutete über den Garten, die schwarzen Finger der nackten Eiben traten aus der Nacht. Jan leuchtete den Untergrund ab, konnte jedoch nicht sagen, ob Anna zwischen den Stämmen hindurchgekrochen war.
Sie gingen weiter, stiegen ein Mäuerchen hinab, das ein aufgelassenes Beet begrenzte, und gelangten ans schilfige Ufer. Ein Steg führte hinaus zum Wasser. Sie gingen an ihm vorbei zur gegenüberliegenden Hecke. Dort stand ein Gartenhäuschen, wohl nur ein einziger Raum. Die Vorderseite des Häuschens ließ sich in der Mitte aufklappen, so dass die Türen einen Teil der Veranda wie Wände umgeben würden. Jan konnte sich wundervoll ausmalen, hier Abend um Abend zu lesen und zu schreiben.
Farid prüfte das Schloss und sie drehten ihre Runde zu Ende. Als sie sich dem Haus näherten, packte Jan Farid am Ärmel und zeigte nach oben. „Das Fenster!“
„ Das ist mein Schlafzimmer.“
„ Es ist offen!“
„ Ich brauche nachts frische Luft.“
Jan musterte das Gebäude und suchte nach Wegen, auf denen Anna hätte einsteigen können. Das Fenster lag zu hoch, um es ohne Leiter vom Boden aus zu erreichen, selbst wenn man auf das Sims im ersten Stock stieg. Und sich vom Dach aus hineinzuhangeln ... das schaffte nicht einmal Anna.
Farid schloss auf und sie traten ein. Für einen Moment hielten sie beide den Atem an und lauschten, dann lächelte der Arzt und sagte wieder mit voller Stimme: „Ich gehe nach oben und ziehe mich um. Wie nass ist deine Hose? Meine dürften dir ein gutes Stück zu kurz sein. Auf jeden Fall bringe ich dir trockene Socken.“ Er machte die Tür hinter ihnen zu und schob den Riegel vor.
„ Danke, das ist nett. Socken reichen.“
Farid stieg die eigentümliche Treppe hinauf.
Jan drehte eine Runde durchs Erdgeschoss und kontrollierte die Fenster in der Küche, in der Vorratskammer, im Speisesaal und in einer provisorischen Werkstatt, die wohl für die Dauer der Renovierungsarbeiten angelegt worden war. Danach kehrte er in den Salon zurück, nahm sich den Siddhartha heraus und blätterte, bis er an einer Stelle zu lesen begann: ‚Als Siddhartha schon lange im Walde
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