Wildnis
Glas an Newman weiter.
„Der im Heck ist Karl“, sagte er. „Der in dem karierten Hemd.“ Die Springfield lag auf einer Stütze, die Hood in der Gabel einer kleinen Weißeiche am Seeufer, dreißig Meter von ihrem Haus entfernt, errichtet hatte. Hood stellte das Zielfernrohr ein.
„Scheiße“, sagte er.
„Was ist?“ Newman flüsterte, obgleich das Boot fast vierhundert Meter weit weg war.
„Karl sitzt auf der falschen Seite. Der Typ mit der gelben Jacke ist zwischen mir und ihm.“
„Erschieß sie beide“, sagte Janet.
„Lass mich mal.“ Newman war die Kehle eng geworden, er hatte Mühe beim Sprechen. Das Boot war schon halb drüben. Hood trat zur Seite und Newman schaute durch das Zielfernrohr. Der Lauf hatte kein festes Visier, es war, als habe man ein Fernrohr und keine Waffe in der Hand. Er sah ein Stück von Karls kariertem Hemd und seinen Hinterkopf, mal ein größeres, mal ein kleineres Stück, weil er und Richie sich bewegten, während sie sich unterhielten und Tate ruderte.
„Wir könnten ihn erledigen“, flüsterte Newman. „So eine Chance kommt nicht wieder. Wir könnten ihn erschießen und uns in den Wagen setzen und losfahren, und sie würden nicht mal wissen, woher der Schuss kam. Bis sie ans Ufer rudern, sind wir längst weg.“
„Zeig mal“, sagte Hood, und Newman ließ ihn heran.
„Es ist zu schaffen“, sagte Newman.
„Tu es, Chris“, sagte Janet. „Tu es jetzt.“
Hood sah durch das Zielfernrohr.
„Herrgott, Chris, so schieß doch“, drängte Newman.
Hood hielt das Gewehr sorgfältig fest, die Wange gegen den Schaft gelegt, seine Hand kreiste um den gebogenenPistolengriff des Schafts, Zeigefinger am Abzug. Der linke Arm war fast ganz gestreckt, um das Gewehr ruhig zu halten. Er atmete einmal tief ein, stieß die Luft aus und blieb dann regungslos stehen.
„Schieß“, sagte Newman lautlos. „Schieß, schieß, schieß, schieß …“ Irgendwo auf dem See kam ein Fisch hoch. Hood holte Luft, lockerte seinen Griff, richtete sich auf.
„Es geht nicht“, sagte er. „Zu riskant. Wir müssen abwarten, bis wir ihn besser vor dem Lauf haben.“
Newman traten Tränen in die Augen. „Herrgott“, stieß er hervor.
Janet Newman drängte sich an Hood vorbei, beugte sich über das Gewehr und schaute durch das Zielfernrohr. Newman sah das Ruderboot hinter dem Anlegesteg verschwinden. Janet richtete sich auf und ging stumm ins Haus zurück. Newman folgte ihr. Hood griff sich das Fernglas und beobachtete Karls Insel.
Newman schlug mit der Hand auf den Tisch, auf dem die Rucksäcke und Waffen aufgebaut waren. Die Waffen hüpften. „Scheiße.“ Seine Stimme schwankte. „Wir hätten jetzt schon weg sein können. Wir hätten es hinter uns haben können. Scheißkerl.“ Er schlug noch einmal zu.
„Nichts zu machen“, meinte Janet. „Die nächste Chance kommt bestimmt. Aber diesmal wird einer von uns es machen müssen. Wir dürfen nicht mehr auf Chriswarten. Wir werden schießen, sobald sich eine Gelegenheit bietet.“
Noch zweimal an diesem Tag fuhr das Ruderboot – ohne Karl – hin und her. Am nächsten Tag pendelte es dreimal zwischen Ufer und Insel, wieder ohne Karl. Beim dritten Mal tuckerte auf der Rückfahrt zur Insel ein Außenbordmotor am Boot. Am nächsten Morgen tuckerte ein zweites Boot mit Außenborder zur Insel. Und fünf Minuten nach acht legten beide Boote ab, umrundeten die Insel und steuerten die andere Seeseite an.
Hood verließ seinen Beobachtungsposten und rannte zum Haus.
„Schnappt euch die Rucksäcke. Sie machen sich davon.“
Newman und Janet fassten die Rucksäcke an den Riemen, griffen sich ihre Gewehre und folgten Hood zum Kanu. In etwa vierhundert Metern Entfernung bewegten sich die beiden Ruderboote, angetrieben von den kleinen Außenbordern, stetig Richtung Osten.
Janet Newman setzte sich in der Mitte des Kanus auf den Boden, Newman nahm das Bug ‚ Hood das Heckpaddel. Sie legten ab und folgten den Ruderbooten. Es war halb neun. Die Sonne war aufgegangen, schien ihnen in die Augen und glitzerte auf der Wasserfläche. Es herrschte Windstille. Die Anlegestelle verschwand hinter einer kleinen Landzunge. Weißeiche und Rotahorn reichten bis dicht ans Ufer. An einigen Stellenwar die Böschung abgebröckelt und viele Stämme lagen im Wasser. Außer den beiden Ruderbooten vor ihnen regte sich weit und breit nichts.
„Wir bleiben besser nah am Ufer“, meinte Hood. „Dann sieht es aus, als ob wir nur eine Kanutour
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