Wildrosengeheimnisse
einfach zu viel.
Wie so oft, vermisse ich meine alte Freundin Frieda an diesem Morgen ganz besonders. Ich wünschte, ich könnte zu ihr hinübergehen und sie um Rat fragen oder mich wenigstens ein wenig bei ihr ausheulen. Obwohl wir uns erst im letzten Jahr kennengelernt hatten, wurde Frieda für mich sehr schnell zu einer echten Freundin. Nein, sie war viel mehr als das. Zwischen uns gab es eine Verbindung, die man nur zu wenigen Menschen im Leben hat, und ich bin dankbar, dass ich das Glück hatte, sie zu treffen.
Wie oft saßen wir in ihrem schönen Garten oder in ihrem gemütlichen Wohnzimmer und sie half mir, manchmal wahrscheinlich sogar unbewusst, durch Erzählungen aus ihrer Vergangenheit, meine Entscheidungen zu treffen. Als sie im letzten Herbst starb, hatte ich das Gefühl, einen der wichtigsten Menschen in meinem Leben verloren zu haben. Da Frieda keinerlei Angehörige mehr besaß, vermachte sie mir nicht nur ihre kleine Hündin Jojo, die mich gerade mit ihren großen Hundeaugen ansieht, sondern auch ihr wunderschönes altes Haus, das, nur ein paar Häuser entfernt von der ›Butterblume‹, am Seeufer steht.
»Was meinst du, Jojo, sollen wir drüben mal nach dem Rechten sehen?«
Wer sagt, dass Hunde die menschliche Sprache nicht verstehen, hat keine Ahnung von ihnen, denn schon ist Jojo an der Tür.
Ich werfe mir schnell einen warmen Pulli über, ziehe eine Jeans und meine Jacke an und laufe mit Jojo im Nebel zu Friedas Haus hinüber, das ich erst wahrnehme, als ich unmittelbar davor stehe.
Es ist so dunkel und kalt heute Morgen und ich fröstele, als ich das stille Haus betrete.
Sofort sind die Erinnerungen wieder da …, an die warmen Sommertage und den Geruch von Friedas berühmtem Teekuchen, der im Ofen backt, während sie mit ihrem geblümten Sommerkleid auf der Terrasse ihre hauchfeinen Teetassen eindeckt.
Jetzt ist alles einsam und leer und nur das Geräusch der tickenden Standuhr ist zu hören. Vorsichtig streiche ich über Friedas Möbel und betrachte die vielen Dinge, die sie so liebevoll darauf dekoriert hatte und die nun mit einer dicken Staubschicht überzogen sind. Da ist das Foto von Friedas Mann Hermann in einem Fischerboot mit einer Angel, welches neben einer kleinen Ballerina aus Porzellan steht. Daneben befindet sich ein Bild von Frieda in jungen Jahren. Mit ihren hellen blauen Augen und dem flachsfarbenen Haar hübsch anzusehen, steht sie auf dem Deich in ihrer Heimat Ostfriesland. Und dann natürlich das Hochzeitsfoto der beiden – wie glücklich sie darauf aussehen. Fast alles ist so, als hätte sie gestern erst das Haus verlassen, denn ich habe bis auf wenige Möbel, die nun in der ›Butterblume‹ ihre Heimat gefunden haben, alles so gelassen, wie es war. Ich bringe es nicht über’s Herz, etwas zu verändern, und kann mir nicht vorstellen, dass jemand anderes hier wohnen soll. Deshalb habe ich über eine Vermietung oder gar einen Verkauf des alten Hauses noch nicht einmal nachgedacht. Es müsste vermutlich so einiges renoviert werden und dazu fehlt mir beim besten Willen das Geld. Ich beschließe, wenigstens den Staubwedel einzusetzen, und lasse durch die hohen Fenster erst einmal frische Luft herein. Auch oben im Schlafzimmer ist alles noch so, wie es war. Jojo schnuffelt ein wenig unentschlossen herum, dann legt sie sich auf Friedas gemütliches altes Nussbaumbett.
Auf der Frisierkommode finden sich Friedas Tosca-Parfum, nach dem sie immer duftete, ihre silberne Haarbürste und ein hellblauer Seidenschal, den sie so oft trug, weil er ausnehmend gut zu ihren blauen Augen passte. Es zerreißt mir fast das Herz, als ich darunter ein Foto von ihr und Jojo entdecke.
»Du vermisst sie auch, meine Kleine, stimmt’s?«
Zärtlich streichele ich über Jojos weiches Fell. Mein Blick fällt auf die kleine Nachtkommode neben Friedas Bett, auf dem auch ein Foto ihres Mannes steht.
Als ich sie öffne, entdecke ich Friedas spitzengesäumte und gebügelte Taschentücher. Nie im Leben hätte Frieda ein Papiertaschentuch benutzt.
»In kleinen Dingen zeigt sich, ob man eine Dame ist«, pflegte sie zu sagen.
Verborgen unter den schönen Taschentüchern entdecke ich aber noch etwas anderes.
Einen Stapel Briefe, zusammengebunden mit einer blasslilafarbenen Satinschleife.
Adressiert sind sie an Frieda Peeger in Westerstede, geschrieben in einer altmodisch steilen und krakeligen Handschrift. Ich zögere kurz, dann öffne ich einen der Briefe und lese:
›Meine liebste
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