Wildwasserpolka
»Hätte Vanessa Sie drankriegen wollen, hätte sie es längst getan. Das wollte sie aber nicht, sie wollte nur den Kuchen nicht mit Ihnen teilen. Sie will Sie bei der Party nicht dabei haben, das ist alles. Und nun setzen Sie sich gefälligst wieder!«
Salzmann bleibt stehen, schließt die Augen, legt die Hände vors Gesicht. Er reibt sich über die Wangen, auf denen bereits ein dunkler Schatten liegt, streicht sich mit Mittel- und Zeigefingern über die Brauen. Als er die Augen wieder öffnet, blickt er über die halbhohe Fachwerkwand, die den Schlafbereich vom Essbereich trennt. Mit einem Ausdruck ehrlicher Verblüffung hält er inne.
Siedend heiß fällt es mir ein: Ich habe vergessen, die Rosenblätter vom Doppelbett zu entfernen. Und Salzmann hat sie gerade entdeckt. Er sieht mich an, mit einer Mischung aus Verwunderung, Überraschung – und vor allem Spott.
»Was haben Sie denn noch vor?«, erkundigt er sich, und zu meinem Ärger spüre ich, wie ich puterrot anlaufe.
»Ist das Arrangement etwa für mich?«
»Das war schon so!«, behaupte ich hastig. »Damit habe ich nichts zu tun.« Sofort humpele ich an ihm vorbei, in den hinteren Teil des Raumes und fege hektisch die Blätter von der Bettdecke – mit einer Hand, in der anderen halte ich die PB. In diesem Moment ist er über mir. Er wirft sich auf mich, packt meine Handgelenke und drückt mich mit seinem kompletten Gewicht in die Kissen, sodass mir die Luft wegbleibt. Seine Rechte umklammert die meine wie einen Schraubstock, bis ich dem Druck nicht länger standhalten kann und die Pistole loslasse. Blitzschnell wischt er sie vom Bett, und sie fällt polternd zu Boden. Im nächsten Augenblick reißt er mich herum, sein Gesicht ist ganz nah über meinem. Da sind winzige braune Einsprengsel in seinen graublauen Augen, über die Nasenwurzel zieht sich eine hauchfeine Narbe. Ich kann die frischen Bartstoppeln sehen, merke, dass mir meine Perücke vom Kopf gerutscht ist. Ohne Waffe, ohne Perücke, ohne jegliche Bewegungsfreiheit fühle ich mich schlagartig nackter als nackt.
»Fürchten Sie, dass jemand Ihnen gegenüber unaufrichtig ist? Erhalten Sie nicht, was Ihnen zusteht?«, zischt Salzmann. Ich brauche eine Sekunde, ehe ich merke, dass er meinen Werbetext zitiert. »Wahrheit, Klarheit, Fairness – oder wie war das? Daran wollen wir uns jetzt mal schön halten, liebe Frau Schiller!« Und ebenso plötzlich, wie er mich überrumpelt hat, gibt Salzmann mich frei. Er springt leichtfüßig auf, greift nach der PB hinter dem Bett und legt sie achtlos auf einem kleinen Tischchen ab. In etwa zwei Meter Entfernung vor mir bleibt er stehen und schaut mich abwartend an. Ich setze mich auf, bringe mein Bein in eine schmerzfreie Position, fasse mir an den Kopf, der sich geradezu kahl anfühlt ohne die falsche Mähne, zerwühle mein eigenes kurzes, platt gedrücktes Haar.
»Viel besser«, meint Salzmann.
»Wie?«
»Die Haarfarbe. Passt viel besser zu Ihnen.«
»Sie reden wie ein schwuler Friseur, Salzmann«, sage ich und reibe meine schmerzenden Handgelenke. »Ich dachte, Sie wären Verbrecher.«
»Und ich dachte, Sie wären eine harmlose kleine Schnüfflerin, die versehentlich in viel zu große Stiefel geschlüpft ist«, kontert er. Eins muss ich ihm lassen: an dem Bild ist was dran.
»Wenn ich Waskovic nicht drankriegen kann, bin ich geliefert«, sage ich.
»Ich bin ganz Ohr«, meint Salzmann.
Und dann packe ich aus, weil es nun auch egal ist – wir Kriminelle sind ja unter uns –, weil ich mit jemandem reden muss, weil ich die Hoffnung nicht aufgeben will, doch noch irgendwas erreichen zu können. Und Salzmann ist ein guter Zuhörer; er lässt mir Zeit, unterbricht mich nicht, fragt nur nach, wenn ihm etwas unklar ist. Ich erzähle von dem Auftrag der Kaulquappe, von meinem Lauschangriff auf dem Balkon, von dem Mordauftrag, der Müller und ihn zum Ziel hatte, von Müllers Leiche, die ich wenig später in meinem Kofferraum fand. Ich erzähle davon, wie Waskovic mir anfangs weismachte, er habe meiner Familie etwas angetan, womit er mich hinderte, die Polizei einzuschalten, von meinem gescheiterten Versuch, es später tatsächlich zu tun. Ich erzähle von dem Brand im Büro und meiner irrwitzigen Flucht und von dem makabren Versteckspiel, das ich seither spiele, erzähle von der Grube und der toten Galina, von meinen Begegnungen mit Vanessa und ihrem Freund, von dieser Wohnung, die ich angemietet habe, um mich mit ihm, Salzmann, treffen zu können. Ich
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