Wildwasserpolka
Sie Müller ausgenommen hätten. Nur eins hat mich skeptisch gemacht«, sagt er nachdenklich. »Von den Steinen hat niemand gewusst, nicht einmal Vanessa. Sie dachte immer, es ginge um Bargeld, und wir haben sie in dem Glauben gelassen.«
»Ihr habt Vanessa also beschissen?«, frage ich ungläubig.
»Beschissen? Nein. Warum hätten wir sie mit dieser Edelsteingeschichte belasten sollen? Müller und ich hatten ausgemacht, dass wir sie mit unserem Privatvermögen auszahlen«, rechtfertigt Salzmann sich. »Je weniger sie über die ganze Angelegenheit wusste, desto besser für sie, dachten wir.«
»Wie ehrenvoll«, bemerke ich. »Geradezu rührend. Und was hat das mit mir zu tun?«
Salzmann lächelt schwach. »Bis auf das Wortspiel mit der Schatzkiste haben Sie immer von ›Geld‹ geredet. Genau wie Vanessa, die von den Steinen auch nichts gewusst hat. Das zeigte mir, dass Sie in Wahrheit keine Ahnung haben können.«
Ich denke eine Weile über seine Worte nach, stehe schließlich auf und humpele zu meinem Beerdigungsmantel, der an der Türklinke hängt. Ich greife in die Innentasche und ziehe ein Foto heraus, das ich im Freudenberger Hotelzimmer aus meinem alten Gepäck mitgenommen habe. Es zeigt Yannick als Dreijährigen, der dem Betrachter gleichzeitig die Zunge herausstreckt und ihm einen Vogel zeigt.
»Das ist mein Orang-Utan-Baby«, sage ich, während ich Salzmann das Bild reiche. »Wie man sieht, hat es noch mütterlichen Beistand nötig. Alles, was ich will, ist, den Kleinen nicht irgendwo allein im Urwald hocken zu lassen.« Ich sehe Salzmann eindringlich an. »Was ich brauche, sind Beweise, verstehen Sie? Beweise gegen Waskovic.«
Er bläst die Backen auf und sagt eine Weile nichts. Dann klopft er sich auf die Schenkel. »Jetzt einen Sekt?«
Ich schüttele den Kopf. »In Situationen wie dieser bevorzuge ich gewöhnlich eine Tasse heiße Milch.«
Salzmann zuckt die Achseln und genehmigt sich einen weiteren Schluck.
»Waskovic ist ein Pedant«, sagt er schließlich. »Es gibt bei ihm nichts, das nicht irgendwo akribisch notiert, klassifiziert und ausgewertet werden würde. Und er ist ein sehr gewissenhafter Buchhalter. Er führt Listen, die sonst nirgendwo auftauchen, Excel-Tabellen, in denen jeder Name, jeder Vorgang, jede Summe, jedes Datum aufgelistet ist, einschließlich kurzer Notizen zur persönlichen Einschätzung der Situation. Diese Tabellen sind irgendwo auf seinem Rechner im Büro abgelegt, nicht im internen Netz, sondern auf einer Festplatte, einem externen Laufwerk oder was auch immer. Müller war da besser informiert.«
»Hatten Sie und Müller Zugriff darauf?«
»Nein, hatten wir nicht. Das hatte niemand.«
Eine geheime Excel-Tabelle. Klar, auch illegale Geschäfte müssen protokolliert werden, wenn man den Überblick behalten will.
»Als die Sache heiß wurde, meinte Müller, es sei gut, etwas gegen den Chef in der Hand zu haben. Für den Fall, dass Waskovic uns aufspüren und versuchen würde, Ärger zu machen«, fährt Salzmann fort. »Wenn wir Material hätten, mit dem er erpressbar wäre, wären wir aus dem Schneider, dachten wir. Müller kam auf die Idee, Waskovics Rechner zu manipulieren. Er hat einen sogenannten Keylogger zwischen Tastatur und Rechner geklemmt, der die Tastatureingaben aufzeichnet. Mit so einem Tastatur-Recorder erhältst du Zugang zu sämtlichen Passwörtern, Verschlüsselungscodes und so weiter. Das Ganze geht über Funk, dazu muss keine spezielle Software installiert werden. Der Rechner selbst bleibt folglich clean, man findet nichts darauf.«
»Also eine PC-Wanze?«, frage ich.
»Ja.«
Erstaunlich, was man von Kriminellen alles lernen kann, denke ich. »Müller konnte sich mit den übermittelten Daten also auf Waskovics Rechner einloggen?«
»Im Prinzip ja.«
»Und konkret?«
»Es musste alles sehr schnell gehen«, weicht Salzmann aus. »Das Ding war ja gerade erst installiert worden, und wir mussten ihm ein paar Tage Zeit geben, damit es etwas aufzeichnen konnte, also die Passwörter, die wir haben wollten. In der Nacht, in der Müller ermordet wurde, wollte er ins Büro fahren, um heimlich die Tabellen zu kopieren, und an jenem Abend hat er mir noch eine E-Mail mit den Daten an meine Privatadresse geschickt.«
»Er hat Ihnen Waskovics geheime Dateien geschickt?«, platze ich heraus.
»Nein.« Salzmann schüttelt den Kopf. Es wäre ja auch zu schön gewesen.
Salzmann greift nach seinem Smartphone, das auf der Tischplatte liegt, und hält es mir
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