Wildwasserpolka
mir scheint. Dagegen spricht lediglich, dass ich noch lebe.
Warum, zum Kuckuck, hat er mich nicht auch gleich ausgeschaltet? Auf eine Leiche mehr oder weniger wäre es sicher nicht angekommen …
Vielleicht hat er meinen Umtrieben anfangs keine große Bedeutung beigemessen, überlege ich, er hat schließlich zunächst nichts unternommen, mein Treiben zu unterbinden. Hätte er mich ernst genommen, hätte er sicher zu verhindern gewusst, dass ich Zeugin des Mordauftrags wurde. Ist es möglich, dass er erst durch die Kaulquappe von meiner Aktion auf dem Hotelzimmerbalkon erfahren hat? Ja, das ist möglich. Wenn auch nicht wahrscheinlich. Denn spätestens zu dem Zeitpunkt, als er erfuhr, dass ich Tom kannte, jenen Thomas Müller, der für ihn arbeitete, müssen bei ihm sämtliche Alarmglocken geschrillt haben. Allerdings bin ich nicht erst seit gestern im Geschäft, soll heißen: Wenn ich mich irgendwo an ein Balkongitter hänge, sorge ich dafür, dass mich niemand dabei sieht. Ich hatte die Eventualitäten berücksichtigt und gewisse Vorkehrungen getroffen, hatte meinen Wagen und mein Outfit gewechselt und bereits am Mittag unter falschem Namen im Hotel eingecheckt. Möglicherweise haben mich Waskovics Schnüffler also aus den Augen verloren.
Mal angenommen, es war so: Ich habe sie an der Nase herumgeführt, und Waskovic wurde tatsächlich erst durch die Kaulquappe über meine Abhöraktion ins Bild gesetzt: Kann er so schnell reagiert haben? Wohl kaum. Einen Notfallplan mit einem derart komplizierten Timing auszuhecken – den Vertrag zu fälschen, mich von A nach B zu lotsen, den Einbruch und die gezielten Diebstähle begehen zu lassen und so weiter –, das ist nicht in einer einzigen Nacht möglich.
Fassen wir also zusammen: Waskovic hat bereits länger von mir gewusst, er hat gewusst, dass die Kaulquappe mich engagiert hatte und dass ich vor einiger Zeit Kontakt zu jenem Mann hatte, der mit ihm in seltsame Geschäfte verstrickt war. Welche genauen Schlüsse Waskovic daraus gezogen hat, weiß ich nicht, Fakt ist, er hat die Morde nicht ad hoc, aus einer spontanen Laune heraus, in Auftrag gegeben. Zuvor muss er sie zumindest erwogen haben, und er hatte bereits ein Szenario entwickelt für den Fall, dass sie durchgeführt würden.
Hatte er mir in dieser Szenerie bereits die Rolle der Totengräberin zugesprochen? Oder – noch schlimmer – wollte er mir von Anfang an den Mord in die Schuhe schieben?
Mir wird übel, und ich lege den Rest der Brezel beiseite. Ich steige aus dem Wagen, atme kühle, klare Luft, rolle die Schultern. Nachdem ich mich versichert habe, dass ich allein bin, schlüpfe ich in meine Regenkombi und hole den Klappspaten heraus.
Einen Trecker hört man von Weitem; sollte einer kommen, wird mir genug Zeit bleiben, um mich aus dem Staub zu machen.
Noch einmal wandere ich in Richtung Blauer Stein, diesmal direkt durch den Wald beziehungsweise am Waldrand entlang, dem Basaltkrater-Rundweg in umgekehrter Richtung folgend. Ein Spaziergänger mit zwei quirligen kleinen Hunden kommt mir entgegen, und ich verberge eilig den Klappspaten unter meiner Jacke. Bald passiere ich die rückwärtige Seite des Kraters, folge weiter einem Trampelpfad, auf den ich heute Nachmittag gestoßen bin, nachdem ich die Misthaufen entdeckt hatte.
Die Dämmerung kriecht bereits herauf, eine dichte Wolkendecke hat sich vor die Sonne geschoben und lässt selbst das zarte Grün ringsum grau aussehen. Bald wird es dunkel sein. Das ist gut.
Ich streife mir Plastiktüten über meine Doc Martens und fixiere sie mit Klebeband an meiner Hose, nicht nur wegen möglicher Fußabdrücke, sondern auch, um meine Schuhe zu schonen.
Das Graben geht gut von der Hand. Der Platz, den ich gewählt habe, liegt etwa in der Mitte des Mistgebirges, hier wird niemand rein zufällig hindurchspazieren.
Der oberirdische Teil ist schnell abgetragen, und darunter hat sich bereits Humus gebildet, der ebenfalls gut wegzuschaufeln ist. Selbstverständlich komme ich ins Schwitzen, gerate jedoch nicht an den Rand der Verzweiflung wie heute Nachmittag in der Leuscheid.
Als ich fertig bin, ist die Nacht bereits hereingebrochen wie ein unheimliches Tier. Es regnet leicht, aber beständig aus einem pechschwarzen Himmel, hin und wieder fährt eine schwache Windböe durch die Baumkronen.
Geduld! Vor zehn Uhr abends werde ich Müller nicht herschaffen können, da muss vielleicht der ein oder andere Hund noch raus.
Ich wandere zurück zu meinem Wagen und
Weitere Kostenlose Bücher