Wildwasserpolka
und hole den Klappspaten, den ich in der Nähe zwischen Brombeerranken versteckt habe. Zumindest dieses Malheur ist rasch beseitigt. Nur noch wenige Minuten, und ich kann das grauenvollste Kapitel meines Lebens unter ein paar Schaufeln Mist begraben.
Nach wie vor regnet es leicht. Mir rutscht die Kapuze vom Kopf, Wassertropfen rinnen meine Schläfen hinab in die Mundwinkel, ich kann den Regen schmecken. Das frische Nass tut gut, trotzdem streife ich mir eilig wieder die Kapuze über und schleife Müller zur Grube.
In dem Moment, als ich mich bücke, um ihn hineinrollen zu lassen, durchzuckt ein Blitz die Dunkelheit. Dann noch einer. Und noch einer.
Mein erschrockener Aufschrei gellt durch die Nacht und erzeugt ein fernes Echo. Erneut flammt ein Lichtblitz auf, der mich so stark blendet, dass ich einige Sekunden lang gar nichts sehe. Umso deutlicher höre ich dafür ein Lachen, hell und hämisch.
Ich bin fotografiert worden. Jemand hat mich dabei abgelichtet, wie ich Thomas Müller unter einem Misthaufen verscharre!
Game over. Finito. Jetzt ist alles aus.
Nein, zum Kuckuck, das ist es nicht! So leicht kriegt ihr mich nicht dran! Ich stürze los, in jene Richtung, aus der das Lachen kam, erkenne nun in etwa 15 Meter Entfernung eine gedrungene Gestalt. Ein Lichtstrahl blitzt auf und blendet mich, ich stolpere blind weiter, falle, rappele mich hoch. Jetzt schwenkt der Lichtkegel in die entgegengesetzte Richtung, weg von mir. Mein Verfolger macht sich aus dem Staub. Er hat nicht damit gerechnet, dass ich ihm folgen würde, ich merke es an der winzigen Verzögerung, mit der er die Flucht antritt, an seinem unsicheren Lauf. Doch jetzt hat der Kerl kapiert, dass es mir ernst ist, und macht Tempo.
Ich muss ihn kriegen, ich muss das Schwein kriegen!
Verzweiflung und Wut treiben mich an, aber da ist noch mehr. In diesem Moment bin ich nicht länger Gejagte, ich bin Jägerin. Mein Killerinstinkt hat mich gepackt.
Die flüchtende Gestalt ist eindeutig ein Mann: nicht gerade groß, allerdings kompakt, mit breitem Kreuz. Er rennt über den mir bekannten Trampelpfad, der unweit einer Viehweide durch den Wald führt. Der Lichtkegel wippt rhythmisch auf und ab – wahrscheinlich trägt er eine Stirnlampe. Da stolpert er, gerät ins Straucheln. Ich hole auf. Gleich habe ich ihn! Noch drei Meter, zwei. Aber ehe ich ihn fassen kann, schlage ich der Länge nach hin. Ich bin an derselben Wurzel hängengeblieben, die ihn fast zu Fall gebracht hätte. Als ich mich hochrappele, durchfährt wieder dieser stechende Schmerz mein rechtes Knie.
Ich will weiterstürmen, doch es dauert einen Moment, bis ich das Bein belasten kann.
Mein Widersacher hat die Zeit genutzt und sich tiefer in den Wald geschlagen. Wie ein großes Tier bricht er durchs Unterholz, der Lichtkegel tanzt wild auf und ab.
Ich kann Boden gutmachen, bis er sich umdreht und mich das Licht wieder so stark blendet, dass ich nichts mehr sehe. Dann erlischt es plötzlich. Der Kerl hat seine Lampe ausgeschaltet.
Er weiß es also nicht. Er weiß nichts von dem Nachtsichtgerät, das ich trage, seit ich mit dem toten Müller aufgebrochen bin; unter der Kapuze meiner Regenjacke wird es ihm entgangen sein, was allerdings nicht gerade für seine Sehkraft spricht, denn das Ding steht wie ein überdimensioniertes Horn von meinem Kopf ab. Das gute alte Fero 51 von der Bundeswehr, das Beste, was es gibt. Statt des originalen scheinwerfergroßen IR-Strahlers habe ich das Gerät mit einem Laserluchs-Aufheller versehen, der für meine Zwecke dienlicher und vor allem leichter ist. Was nicht heißt, dass die Sache kein Gewicht hätte. Eine Spezialanfertigung aus meiner Werkstatt ist die Kopfhalterung, die es mir ermöglicht, die Hände frei zu haben. Zumindest zeitweise, denn annähernd zwei Kilo balanciert man nicht stundenlang auf der Nase herum. Und man sieht damit auch nicht gerade aus wie eine Audrey Hepburn mit Sonnenbrille. Egal. Hauptsache, Ernie denkt, ich sehe ihn nicht.
Aber ich sehe ihn. Und ich hole auf. Gerade schlägt er einen Haken, zurück in Richtung Trampelpfad. Für einen Moment verliere ich ihn aus den Augen, und plötzlich stehe ich auf der rückwärtigen Seite des Basaltkraters, sehe vor mir eine Buche, deren mächtiges Wurzelwerk sich pittoresk an den nackten Fels krallt.
Wo ist der Typ?
Ich spähe in Richtung Krater: nichts. In die entgegengesetzte Richtung, zur Viehweide hin: nichts. Ich wende mich halb rückwärts, und in diesem Moment springt er mich an
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