Wildwasserpolka
krampft sich unwillkürlich zusammen. Ich sehe den toten Tom in meinem Kofferraum vor mir, die schwimmende Mumie im Teich, die Bilderserie von der Sauftour, die wahrscheinlich seine letzte war … Schluss damit!
Warum diese Inszenierung in unserem Haus?, zwinge ich mich, mich zu fragen, und die Antwort fällt ausnahmsweise nicht schwer: Man wollte mir eine heiße Nacht andichten, eine Affäre, die mit einem Mord geendet hat – oder auch nicht, je nachdem, wie es gerade passt. Jojo Schiller, die Geliebte eines Betrügers. Und eine Kriminelle.
Irgendwie billig, das Ganze, mehr als billig. Haben ihm die Brennpunktplaymates als real existierende Vorlage gedient, oder war ich womöglich selbst diejenige, die Waskovic zu dieser Rollengestaltung inspiriert hat? Immerhin scheint er bestens über meine Vergangenheit im Bilde zu sein.
Wenn sein Plan also war, einen Keil zwischen meine Familie und mich zu treiben, hat er hervorragend funktioniert. Wenn der Plan allerdings darauf abzielte, Beweise dafür zu schaffen, dass Müller in der Mordnacht bei mir gewesen ist, ist er in die Hose gegangen – wie schon die nächtliche Fotoaktion. Markus hat Waskovic einen Strich durch die Rechnung gemacht, er hat nicht etwa die Polizei benachrichtigt, sondern stillschweigend aufgeräumt. Er hat den Schuh und die Sektflasche einfach weggeworfen, die Gläser weggeräumt. In unserem Haus gibt es keine Spuren mehr von Müller. Wer danach sucht, wird nichts finden.
Unter Punkt fünf kann ich folglich festhalten, dass auch bei Waskovic nicht alles hundertprozentig rund läuft. Ganz so cool, wie er sich gibt, ist er ohnehin nicht, sonst hätte er es kaum nötig, mir jede Anweisung persönlich vorzubeten. Er tut es, weil er mich unter Druck setzen will, weil er den Druck aufrechterhalten will. Weil er angreifbar ist. Ja, auch Waskovic ist angreifbar!
Wenn ich ihn also drankriegen, wenn ich mich irgendwie aus dieser Sache hinausmanövrieren will, muss ich sehen, wie ich ihn zu fassen bekomme. Gegebenenfalls muss ich mir Zugang zu seiner Eitorfer Villa, zu seinem Büro, zu Salzmann verschaffen – sofern der noch lebt. Das heißt, ich muss in der Nähe bleiben, ich darf mich nicht absetzen.
Aber ich werde dafür sorgen, dass es aussieht, als hätte ich es getan.
11
Wenn dein Pferd tot ist, steig ab.
Indianische Weisheit
So bitter die Wahrheit auch ist, ich muss ihr ins Auge sehen: Waskovic kann mich nach wie vor orten, also habe ich ihn weiterhin mit an Bord. Und sollte die Polizei in Kürze auf die Idee kommen, Verkehrskontrollen durchzuführen, überprüft sie garantiert jeden roten Mondeo. Ergo: Mein Wagen muss weg.
Aus zwei Gründen bietet es sich an, ihn gleich am Bahnhof stehen zu lassen: Jeder wird vermuten, dass ich in einen der Züge gestiegen bin, denn von hier aus gibt es eine gute Anbindung nach Rheinland-Pfalz und weiter nach Siegen, sowie, in der anderen Richtung, nach Siegburg, Köln, Aachen und so weiter. Niemand kann wissen, wohin es mich gerade treibt …
Außerdem habe ich ziemlich kreativ geparkt: In der hintersten Ecke des Bahnhofs, hinter dem Umspannwerk, an einer Stelle, die lediglich von den Bahngleisen aus einsehbar ist. Vielleicht dauert es deshalb sogar ein paar Tage, ehe man auf den Wagen aufmerksam wird. In jedem Fall gewinne ich Zeit.
Also dann. Ich gehe zu meinem Wagen zurück und beginne, umzupacken. Im Rucksack lasse ich nur das Nötigste.
Ich nehme die Palette gerupfter Stiefmütterchen vom Rücksitz und deponiere sie zusammen mit dem Klappspaten im Kofferraum. Ich löse die falschen Nummernschilder und stopfe sie in meinen Rucksack. Anschließend setze ich meine Katy-Perry-Perücke auf und schiebe mir eine Sonnenbrille ins Haar. Meinen Schal wickle ich mir um den Hals, schlüpfe in meine Outdoorjacke, schultere meinen Rucksack und mache mich auf den Weg. Als ich auf Höhe des Bahnsteigs angelangt bin, steht dort gerade ein Zug. Ich lasse ihn ohne mich abfahren.
›Tue das Unerwartete! Wähle die Option, die andere nicht wählen würden‹ – eine Empfehlung des Recklinghäuser Lehrinstitut für private Ermittlungen, die ich in verfeinerter Variation immer wieder gern aufgreife. ›Entscheide dich für die Option, von der die anderen nicht annehmen, dass du sie wählen würdest‹, lautet meine Devise.
Während ich die Straße entlang in Richtung Herchen wandere, setzt ein feiner Nieselregen ein. Der Fußweg führt über eine breite Eisenbahnbrücke und am Siegufer entlang; die Strecke zieht
Weitere Kostenlose Bücher