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Wildwasserpolka

Wildwasserpolka

Titel: Wildwasserpolka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Kuepper
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Antwort gab ich mir kurz darauf selbst, indem ich eine Affäre mit Alex anfing. So eine Frau war ich.
    Ich könnte die Sache jetzt auf meine ausgeprägte seelische Schieflage schieben, will mich jedoch nicht rausreden. Es war nicht schön, es war nicht fair, zumal Alex ein alter Kumpel von Markus war, aber herrje! Sie waren weder Brüder noch beste Freunde, und ich habe Markus immer gesagt: Ich kann nicht hundert Jahre lang mit dir verheiratet sein und allein Augen für dich haben. Körperliche Treue ist doch bloß die Verleugnung von Bedürfnissen. Und Markus hat mir recht gegeben, er hat allem zugestimmt – allerdings rein auf theoretischer Ebene, wie ich später merken sollte, und lange vor unserem Super-GAU als frisch gebackene Eltern.
    Ich litt, Markus litt – unter mir, unter uns, unter der Geschichte mit Alex. Also packte ich meine Klamotten und nistete mich mit dem Baby in einem winzigen Apartment am Michaelsberg ein, das ein entfernter Bekannter für sechs Monate untervermietete, und nahm meine langweilige Arbeit im Möbelhaus Stegemeier wieder auf. Eine Kinderfrau versorgte Yannick, bis Markus ihn gegen zwei Uhr nachmittags abholte. Gegen halb sieben brachte er unseren Sohn zur Kinderfrau zurück, wo ich ihn nach Feierabend in Empfang nahm. So ging es eine ganze Weile: Arbeit, Kind, meine Treffen mit Alex. Doch Markus fehlte mir, und allmählich lief es wieder besser zwischen uns, was ohne Zweifel daran lag, dass ich meine Affäre mit Alex an den Nagel hängte. Gelegenheitsliebhaber halten sich nicht lange frisch, wenn sie nachts von Babygeschrei um den Schlaf gebracht werden.
    Irgendwann waren wir wieder zusammen, Markus und ich – verheiratet waren wir ohnehin noch –, und als ich das Apartment nach einem halben Jahr aufgeben musste, zog ich nach Hause zurück.
    Wahrheit, Klarheit, Fairness – ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, was ich so treibe, bis ich begriff, dass Markus damit überfordert war. Darum habe ich irgendwann begonnen, ihm Lügen aufzutischen. Hinter die er dann doch kam. Ein Fehler, ich weiß. Mit katastrophalen Folgen.

    Ich bestelle mir noch eine heiße Milch mit Honig und eine weitere Rosinenschnecke. Wenn ich die intus habe, muss es weitergehen, ich brauche dringend einen neuen Wagen. Sofort denke ich wieder an Denise, die mir normalerweise in derlei Angelegenheiten zur Seite steht – soll heißen in beruflichen Angelegenheiten, aber das hier hat mit unserem beruflichen Alltag herzlich wenig zu tun. Außerdem darf ich sie in die Sache nicht mit reinreißen. Auf gar keinen Fall.
    Ich brauche also einen Wagen. Doch woher nehmen, wenn nicht stehlen? Nirgends, da bleibt nur Diebstahl.

    Im Café habe ich mir einen eleganten, knielangen Mantel vom Haken genommen, in dem ich mich fühle wie eine Bankangestellte auf dem Weg zur Arbeit. Schade, um dieses Outfit perfekt zu machen, bräuchte ich noch schicke Treter und ein Handtäschchen, keinen Sack auf dem Rücken. Na ja, man kann nicht alles haben.
    Ich nehme die Perücke ab und ziehe mir eine eng anliegende Beanie über den Kopf. Ich krame mein Schminktäschchen hervor und pudere mein Gesicht im Farbton ›wachsbleich‹. Die Lippen male ich mir blutrot und bin eine andere. Eine, die beispielsweise Autos klaut. Nur stehen davon in Herchen leider nicht allzu viele herum; sonst sind sie überall die Pest, und ausgerechnet hier muss man nach ihnen suchen!
    Ich überlege schon, ob ich umkehren und noch einmal die Beerdigungsgesellschaft in Anspruch nehmen soll, verwerfe den Gedanken jedoch sofort, da sich die ersten Gäste dort bereits zum Aufbruch rüsteten, als ich das Lokal verließ. Die Gefahr, beim Autoknacken erwischt zu werden, ist groß, zumal mein Talent in dieser Richtung begrenzt ist. Im Fach Fahrzeugtechnik gab es zwar einschlägige Kursmodule wie ›Das eigene Fahrzeug öffnen und starten, wenn der Schlüssel abhandengekommen ist‹, und vom Gelernten profitiert man praktischerweise auch, wenn der Fahrzeugschein nicht auf den eigenen Namen ausgestellt ist, allerdings haperte es bei mir in der Praxis daran, dass ich wiederholt das vorgegebene Zeitlimit überschritt. Kaum anzunehmen, dass mir die Sache nun schneller von der Hand gehen wird, zumal ich aus der Übung bin. Ich brauche Zeit, und Zeit ist in dieser Angelegenheit gleichzusetzen mit einem ungestörten Ort. Zeit und Ruhe hätte ich zwar am Bahnhof gehabt, allerdings ist der Bereich, in dem die Pendlerfahrzeuge parken, garantiert videoüberwacht. Ein

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