Wildwasserpolka
das undurchdringliche Flaschengrün darunter. Zu springen wäre keine Lösung, sage ich mir. Ich kann ja schwimmen. Und wer stirbt schon gern im Frühling?
Langsam schlendere ich zurück, setze mich auf eine Bank unter alten Eichen, hier, am friedvollen Stromberger Siegufer, und harre der Dinge, die da kommen. Vielleicht schnappt mich gleich die Polizei, vielleicht meldet sich Herbert, vielleicht werde ich auch noch einmal der Kaulquappe begegnen.
Eine Kohlmeise setzt sich für einen Augenblick zu mir auf die Bank, auf der anderen Seite des Flusses quakt eine einsame Gans. Ich esse eine Brezel, trinke Wasser dazu und warte darauf, dass die Zeit vergeht.
Dass etwas passiert.
Aber es passiert nichts.
Auch der Wald schweigt still, als hielte er einen erholsamen Mittagsschlaf, nur hin und wieder geht ein Rauschen durch das junge Blattwerk wie ein tiefer, ruhiger Atemzug.
Ich wandere aufwärts, immer weiter, in der Hoffnung, ein einsames, vor fremden Augen und Ohren geschütztes Plätzchen zu finden. Schließlich wähle ich einen Buchenstamm mit roter Markierung, zähle zehn Schritte, entsichere die legendäre PB, nehme die rote Marke ins Visier.
Der Schuss zerreißt die Stille. Mit klatschendem Flügelschlag stieben wilde Tauben auf, eine Krähe beschwert sich lautstark über die Störung ihrer Mittagsruhe, und in meinen Ohren pfeift es gehörig.
Von wegen Flüsterwaffe!
Trotz der geringen Entfernung habe ich mein Ziel komplett verfehlt – so viel also zu meinen Schießkünsten.
Ich beschließe, es ein weiteres Mal zu versuchen, doch als ich nachspannen will, blockiert das Ding. Zunächst vermute ich, dass sich die Patrone im Lauf verkantet hat, was allerdings nicht der Fall ist. Ich nehme Patrone und Magazin heraus und versuche nochmals, nachzuspannen, ohne Erfolg. Echt russische Wertarbeit. Immerhin scheint Vanessa an die Funktionstüchtigkeit dieser Waffe geglaubt zu haben, sonst hätte sie sich kaum von ihr einschüchtern lassen.
Als ich mich daran mache, den Schalldämpfer abzuschrauben, rutscht mir die Pistole aus der Hand und fällt auf den Schotterboden. Ich hebe sie auf und stelle fest, dass sich die Blockierung gelöst hat. Na also.
Habe ich gerade einen Hund bellen hören? Ich stecke die Pistole unter meine Jacke und mache mich eilends davon.
21
Die Hölle ist leer, und alle Teufel sind hier!
William Shakespeare
Am Nachmittag parke ich meinen Wagen an einem kleinen Friedhof bei Öttershagen und folge dem Wanderweg entlang des Waldrands zur Grube Silberhardt, um mir den vereinbarten Treffpunkt mit der Kaulquappe vorab bei Tageslicht anzusehen.
Das Grubengelände befindet sich in einer Senke parallel zur Straße, von einem hügelan steigenden Wäldchen begrenzt, in dem sich die Grube unterirdisch durchs Gestein fräst. Neben der Grube stehen zwei große Holzgebäude – das Besucherzentrum und ein Lokschuppen. Gegenüber, auf der anderen Straßenseite, befindet sich das ehemalige Steigerhaus, das heute eine Hundepension beherbergt.
Vor dem Besucherzentrum parken drei Fahrzeuge. Hinter der Glasfront erkenne ich die Schemen mehrerer Personen, genauer hinzuschauen ist mir nicht möglich, denn das Gelände ist offen und überschaubar, sodass man sich hier nicht ungesehen bewegen kann.
Soeben tritt ein Besuchergrüppchen aus dem Stollenmundloch, ausgestattet mit Helmen und Regenumhängen. Die Gruppe geht über den Platz und betritt das Besucherzentrum. Wenig später verlassen fünf Leute das Gelände, vermutlich jene, die an der Führung teilgenommen haben. Sie überqueren die Straße, steigen in ihre auf dem dortigen Parkplatz abgestellten Fahrzeuge. Der Besucherparkplatz. Der Treffpunkt, den die Kaulquappe vorgeschlagen hat.
Auch ich gehe zu dem Platz hinüber und folge ein Stück weit dem dahinter gelegenen Sträßchen. Als ich zum Grubengelände zurückkehre, erlischt dort gerade die Innenbeleuchtung im Besucherzentrum. Drei Männer treten aus dem Gebäude, sperren ab, steigen in ihre Autos und fahren davon.
Ich habe alles gesehen und wandere durch den Wald zurück zu meinem Wagen. Gestärkt mit einer Handvoll Käsewürfel und drei Scheiben trockenem Kuchen mache ich mich nach Einbruch der Dunkelheit aufs Neue zum Grubengelände auf. Als ich dort eintreffe, parkt ein Fahrzeug auf dem Vorplatz, und im Lokschuppen brennt Licht. Ich gehe auf den Schuppen zu, werfe einen Blick durchs Fenster und sehe zwei Männer darin hantieren. Vorsichtig ziehe ich mich zurück, überquere die Straße und
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