Wildwasserpolka
Butler der Ältere
Viertel vor acht. Und nun? Ich komme an einer Haltestelle vorbei, und beim Blick auf den Fahrplan bestätigt sich meine Vermutung über den Grund, aus dem Waskovic mir das Auto weggenommen hat. Der nächste Bus ist für zwanzig vor zwei angekündigt. Na prima.
Viertel vor acht. Und nun? Ich komme an einer Haltestelle vorbei. Ich setze mich einen Augenblick und sehe zu, wie die Sonne über die Hügel klettert. Mein Nacken schmerzt, ebenso der Rücken. Von der Beule an der Stirn und der pochenden Wunde am Hinterkopf ganz zu schweigen.
Ich schiebe die Hände unter meine Jacke, lege sie flach auf die Nierengegend. Die Haut ist eiskalt.
So geht es nicht weiter. Ich brauche einen Unterschlupf, ein Bett, eine Heizung, und vor allem brauche ich ein Auto, sonst kann ich mir weitere Torturen ersparen und mich gleich der Polizei stellen.
Motorengeräusche. Ein Kleinwagen nähert sich, bremst ab. Ich springe auf.
Der Wagen hält an, und die Seitentür fliegt auf. Eine junge Frau mit rotem Haar und knallbuntem Schal beugt sich zu mir herüber. »Soll ich Sie mitnehmen?«
Ich werfe einen misstrauischen Blick auf die riesige Aktentasche, die zur Seite gekippt auf dem Beifahrersitz liegt. Darunter lässt sich alles Mögliche verbergen. Eine Waffe zum Beispiel.
»Muss nicht sein«, sage ich. »Der nächste Bus kommt ja schon in knapp sieben Stunden.«
Sie runzelt die Stirn.
»War nur ein Scherz«, erkläre ich. »Es wäre super, wenn Sie mich ein Stück mitnehmen.«
Sie lächelt und wuchtet ihre Tasche nach hinten, damit ich mich setzen kann.
Während der Fahrt erzählt sie mir, sie sei Lehrerin am Gymnasium in Herchen. Herchen, der Ort, in dem ich das Postauto gestohlen habe.
Ob ich bis dorthin mitfahren möchte, fragt sie. Nein danke, lieber nicht.
»Sind Sie aus der Gegend?«
»Nein, aus Mönchengladbach«, behaupte ich. »Ich habe ein paar Tage Urlaub und wollte Freunde besuchen, ein Pärchen, das vor Kurzem nach Öttershagen gezogen ist. Aber sie haben sich die ganze Zeit über gestritten und … Ach, eine dumme Geschichte.« Ich winke ab. »Jedenfalls hatte ich keine Lust mehr auf ihre Gastfreundschaft, hab meine Sachen gepackt und bin weg. Mein Plan war, mir noch ein, zwei schöne Tage in der Gegend zu machen«, erkläre ich und werfe einen Blick aus dem Seitenfenster. »Hätte ich allerdings gewusst, wie schwer es ist, von hier wegzukommen, wäre ich die Sache anders angegangen.«
»Immerhin haben Sie mich getroffen«, stellt meine Wohltäterin fest und lächelt ein sympathisches Lächeln.
»Ja, Sie haben mich gerettet«, stimme ich ihr zu.
Sie dreht das Radio lauter.
»Hans-Peter, du weißt: im Jackpot befinden sich 26.660 Euro, die dir gehören, wenn du uns die richtige Antwort gibst. Achtung, hier kommt das geheimnisvolle Geräusch!«
Es ploppt.
»Ein geköpftes Ei!«, meint Hans-Peter triumphierend.
Ich sage nichts dazu. Wir passieren den großen Verkehrskreisel, den ich vorgestern umkurvt habe. Es kommt mir vor, als sei es eine Ewigkeit her. Von der Mitte des Kreisels grüßt der Bergbau-Hunt als Hinweis auf die nahe Grube und beschert mir eine Gänsehaut.
»Wissen Sie vielleicht, wo ich einen Kaffee und ein Brötchen bekommen kann?«, frage ich meine Chauffeurin.
Sie nickt. »Wir sind gleich in Schladern, ich kann Sie am Bergischen Hof absetzen. Dort kriegen Sie bestimmt ein anständiges Frühstück – und ein Zimmer, wenn Sie wollen.«
»Fabelhaft!«
Kaum 20 Minuten später habe ich mich bereits am gut sortierten Frühstücksbuffet bedient. Ich wähle einen Tisch am Fenster, trinke Kaffee und esse Toast mit Schinken und Rührei. Nachdem der erste Hunger gestillt ist, greife ich mir das Notfallhandy und wähle die Nummer von Denise.
»Guten Morgen, Denise.«
»Grüß Gott, Oma Gerda!«, meint Denise trocken. Das Handy ist ja auf den Namen ihrer Großmutter gemeldet. »Was gibt’s, ist dir dein Gebiss ins Klo gefallen?«
»Mein Gebiss nicht, aber mein Smartphone«, antworte ich.
»So ein Pech! Wie geht’s dir sonst, Jojo?«
»Danke der Nachfrage.«
»Wir haben lange nichts voneinander gehört.« Es klingt wie ein Tadel.
»Nun ja, sooo lange nun auch wieder nicht«, wiegele ich ab. »Was ich dich fragen wollte …«
»Bupupupu-brrrr-rit-gulligulligulli!«
»Wie?«
»Nichts weiter. Merle ist ein bisschen knatschig, ich versuche, sie aufzumuntern.«
Mich muntert Denise damit keineswegs auf, im Gegenteil: Ihr Muttertiergehabe turnt mich dermaßen ab, dass ich drauf
Weitere Kostenlose Bücher