Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Hintergrund spielte die Musik weiter.
Desdemona fuhr fort: »Alles in der Hoffnung, dass du Versprechen einlöst, Versprechen, das du mir vor dreizehn Jahren gegeben hast, als wir uns kennenlernten. Desdemona, hast du gesagt, eines Tages höre ich auf mit Maschinenteilen und wir ziehen nach Los Angeles. Mache ich ein Filmstudio, und zusammen drehen wir große Filme, große amerikanische Filme. Wie Scorsese, Tarantino und Bay. Ich bin Produzent, und du spielst Hauptrolle, du hast gesagt. In Los Angeles. Nicht in Portland. Nicht in dieser Industriewüste. Und nicht in Undurchdringlicher Wildnis. Du hast mir versprochen.«
»Ich weiß, Süße, aber ich denke …«
»Nein, das ist dein Problem. Du denkst gar nicht. Nur an dich selbst.«
Mit diesen Worten wirbelte sie auf den Absätzen herum, stolzierte aus dem Zimmer und hinterließ dabei eine Wolke Lavendelparfüm.
Betty Wells sang gerade sehnsüchtig von einem Cowboy aus Westtexas, als Joffrey Unthank die Nadel von der Platte hob und sie mitten im Satz unterbrach. Die Lautsprecher gaben ein leises Krrrck von sich. Joffrey schob die Hände in die Hosentaschen, schlenderte zum Schreibtisch und betrachtete die Zeichnung des Zahnrads. Wie ein Komponist, der sein in Notenschrift verfasstes Werk hören kann, ohne ein Instrument anzurühren, ließ Joffrey die Konstruktionszeichnung vor seinem geistigen Auge lebendig werden: Die kleinen Zahnräder drehten sich geschmeidig und geräuschlos um die Achse und ließen die blaugraue Schrift um das Getriebe herum verschwimmen. Unthank hatte bereits vergessen, was Desdemona gesagt hatte. Er war in Gedanken tief in der Welt der Maschinenteile, wo ihn keine Belanglosigkeiten von seinem Ziel ablenken konnten.
Als Elsie, Rachel und Martha aus dem Wald herabstiegen und sich der geschäftigen Kindergruppe im Garten des Hauses näherten, senkte sich eine merkwürdige Stille auf die Kinder. Es war eine resignierte, ergebene Stille. Sie sahen die gelben Etiketten an den Ohren der drei Mädchen – es war keine Erklärung nötig, wie sie dorthin gekommen waren. Bei Martha lösten die Gesichter der Kinder eine Flut von Erinnerungen aus: Da war der pummelige Carl Rehnquist, der einen staubigen Teppich ausschüttelte. Und die rothaarige, picklige Cynthia Schmidt. Sie trug gerade Holz von einem Haufen zum Haus und stapelte es dort ordentlich auf. Dale Turner, die immer still wie ein Mäuschen gewesen war, saß auf der Veranda und las ein Buch, während ihr zwei jüngere Mädchen, Louise Embersol und Sattie Keenan, über die Schulter blickten. Die Kinder murmelten den Neuankömmlingen ein »Hallo!« zu, während diese wie benommen in den Garten kamen, und widmeten sich dann wieder ihren Aufgaben.
Das Haus schien so alt wie die Hügel selbst. Es bestand größtenteils aus ungehobelten Stämmen, die über einem Fundament aus Flusssteinen aufgeschichtet waren. Zeit und Witterung hatten das Holz dunkel eingefärbt. Das Schrägdach aus Zedernholzschindeln war von einer Schicht hellem Schnee bedeckt und mündete in einen hohen Giebel, auf dem ein von Grünspan überzogener Wetterhahn aus gehämmertem Kupfer thronte. Eine breite Veranda bot Platz für einige Bänke und einen Waschzuber.
Als wären sie stumm, näherten sich die drei Mädchen schweigend dem Haus. Schließlich brach Martha die Stille. Sie sah einen Jungen mit einem Eimer, in dem Küchenabfälle zu sein schienen, aus der Tür des Hauses treten. »Michael!«, rief sie. Der dunkelhäutige Junge, der ein rotes Halstuch trug, grinste breit.
»Martha!« Er stellte den Eimer ab. Martha rannte zu ihm, und sie umarmten sich überschwänglich.
»Wie bist du …«, stotterte Martha. »Was hast du …«
Der Junge wollte gerade antworten, als plötzlich Hundegebell das Tal erfüllte: Das galoppierende Rudel von vorhin stürmte den Hang herunter in den Garten. Sobald es die arbeitenden Kinder erreicht hatte, spaltete es sich auf, und die Kinder mussten alles stehen und liegen lassen, um die Ansprüche der fröhlich bellenden und schlabbernden Hunde zu erfüllen. Der Mops, den Elsie kurz gestreichelt hatte, kam zu ihr gerannt. Sie kniete sich hin und kraulte ihn unter dem Hals, und der Hund ließ die Zunge genussvoll seitlich aus dem Maul hängen. Rachel schreckte zurück und hielt abwehrend die Hände vor die Brust.
»Was hat das alles zu bedeuten?«, fragte Martha den Jungen Michael. Ein Golden Retriever warf sich gerade neben ihnen auf die Seite, und Michael streichelte ihm gehorsam
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