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Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy , Carson Ellis
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verschwunden blieb oder tagelang durch eine scheinbar endlose Wiederholung der immer selben Landschaft irrte, bis er sich schließlich an genau derselben Stelle wiederfand, an der er aufgebrochen war.« Er tupfte noch einen letzten Klecks in Marthas anderes Ohr, dann trat er zurück und begutachtete sein Werk. »Ich habe Geschichten gehört, ich habe sogar einige Überlebende befragt. Ja, es gibt sie noch, einige wenige. Es erfordert ein wenig Überzeugungskraft, sie zum Reden zu bringen, aber ich habe meine Methoden.« Offenbar zufrieden mit der verabreichten Pastenmenge ging Unthank zurück zum Schreibtisch und holte etwas, das für Elsie aussah wie eine glänzende Metallpistole. »Und jetzt«, sagte er zu Martha. »Bitte ganz still halten.«
    Marthas riss die Augen auf. Unthank hielt die Pistole an ihr Ohrläppchen und drückte den Abzug. Ein leises Schnapp ertönte, und Martha stieß ein hohes Quieken aus. Unthank zog die Hand zurück und da, frisch am Ohr des Mädchens befestigt, hing ein kleines gelbes Etikett an einem silbernen Stecker.
    »Die Nächste!«, rief Unthank.
    Die Spangen an Händen und Füßen wurden aufgeklappt, und Martha taumelte vom Stuhl zurück neben Elsie und Rachel. Sie tastete nach dem Ohrstecker, den sie gerade erhalten hatte. »Was ist das?«, fragte sie.
    »Sieht aus wie ein Preisschild«, meinte Elsie.
    »Vorsichtig«, sagte Desdemona. »Könnte es sich entzünden. Nicht anfassen.«
    Unthank winkte Elsie heran. » Mademoiselle ?«, sagte er mit vorgetäuschter Liebenswürdigkeit.
    Rachel schob Elsie beiseite. »Ich gehe.«
    »Braves Mädchen«, sagte Unthank und half Rachel auf den Stuhl. Während er eine neue Salbe vorbereitete, setzte er seinen Monolog fort. »Tatsächlich erzählen alle Überlebenden der Undurchdringlichen Wildnis das Gleiche: Egal, wie weit sie in den Wald hineinliefen, sie hatten immer das merkwürdige Gefühl, nicht voranzukommen . Merkwürdig, was?«
    Diese Frage war an Rachel gerichtet, die inzwischen auf dem Stuhl festgeschnallt war. Unthank war mit einer Schale bräunlichem Brei zurückgekehrt und hielt beim Sprechen den Spatel zum Auftragen vor Rachels Gesicht. »Der Geruchssinn. Sehr wichtig.« Er machte einen tiefen, theatralischen Atemzug durch die Nase. »Man hält ihn vielleicht für selbstverständlich. Fairerweise muss man zugeben, dass er im Vergleich zu den anderen menschlichen Sinnen oftmals nebensächlich wirkt. Zufälligerweise habe ich aber umfangreiche Forschung über die Bedeutung des Geruchsvermögens betrieben und daraus die Erkenntnis gewonnen, dass die Nasenhöhle ein direkter Kanal zum Gehirn ist. Dreiundneunzig Prozent unserer Gesamtwahrnehmung beruht auf dem Duft von Dingen. Wusstet ihr das? Bestimmt nicht. Aufgrund dessen bin ich zuversichtlich, dass durch eine Behandlung dieses Kanals mit natürlichen, aus der Undurchdringlichen Wildnis selbst gewonnenen Elementen die Wahrnehmung des Eingesperrtseins sich drastisch verändern und dem Versuchsobjekt dadurch idealerweise ermöglichen würde, die – wie ich sie nenne – Unüberwindbare Grenze zu überqueren.«
    Damit schaufelte er beherzt einen Klumpen braunen Matsch auf den Spatel und rammte ihn unsanft in Rachels Nase. Sie röchelte hilflos.
    »Mwas ist das für eim Zoig?«, näselte sie.
    »Alles natürlich. Hundert Prozent Bio«, antwortete Unthank. »Pürierter Austernpilz, Schneckenschleim und Rindenmulch.«
    Rachel zog eine entsetzte Miene. »Schmeckenschweim?«
    »Also«, sagte Unthank und griff nach der Ohrlochpistole. »Ich verfüge über Berichte aus erster Hand, wenn auch auf etwas vagen Mutmaßungen beruhend, dass es jenseits dieser Grenze eine Welt gibt. Eine ganze lebendige, pulsierende Welt. Eine, die wir sehen könnten, wären wir nur in der Lage, die Augen dafür zu öffnen. Ich weiß nicht, was da vor sich geht oder wer dieses vergessene Land regiert, aber ich habe die Absicht, sie mit dem modernen Wunder des Kapitalismus und des freien Marktes bekanntzumachen. Dass jemand damit nicht einverstanden ist, halte ich für unwahrscheinlich, denn wenn ich als Titan der Industrie eines gelernt habe, dann, dass die Menschen den Kapitalismus lieben .« Ohne Vorwarnung hielt er Rachel die Pistole ans Ohr und – schnapp – durchschoss das Läppchen mit einem Silberstecker, an dem ein gelbes Etikett hing, genau wie das von Martha. Rachel zuckte zusammen. »Vorausgesetzt, man gibt ihnen die richtigen Anreize«, ergänzte Unthank. Dann öffnete er die Fesseln des Zahnarztstuhls,

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