Wildwood
erledigen. Also: Was darf’s sein? Pistole oder Machete?«
Curtis ließ sich die Wahlmöglichkeiten durch den Kopf gehen. Diese Frage brachte ihn in die gleiche Zwickmühle wie bereits vor ein paar Tagen: Er würde kämpfen müssen. Erneut stand ihm die Schlacht mit der Gouverneurin vor Augen, und er hatte das Gefühl, dabei unglaubliches Glück gehabt zu haben; und es war nicht sehr wahrscheinlich, dass sich dieses Glück wiederholen würde. Der Kanonenschuss, der umgestürzte Baum, mit dem er die Haubitze unschädlich gemacht hatte – er sah das alles vor sich wie einen Traum.
Brendan verzog den Mund zu einem trockenen Lächeln. »Schon verstanden«, sagte er und deutete Curtis’ Schweigen: »Also beides.« Aus einem nahe stehenden Zelt holte er einen schweren Ledergürtel, an dem eine Pistole mit Elfenbeingriff und ein langes, gekrümmtes Messer hingen. Er warf Curtis den Gürtel zu, und dieser fing ihn vorsichtig auf.
»Du bist ein harter Bursche, Curtis«, sagte Brendan. »Ein harter
Bursche. Geh zu Damian, er soll dir Munition geben. Und immer Kopf hoch! Vergiss nicht: Du bist jetzt ein Räuber.«
Etwas unsicher salutierte Curtis.
»Und nicht salutieren«, tadelte Brendan. »Wir sind hier nicht bei der Armee.«
»Alles klar.« Unbeholfen ließ Curtis den Arm sinken. »Danke, Brendan.«
Er machte sich auf den Weg zum Munitionszelt, wobei er immer wieder dem stetigen Strom geschäftiger Räuber auswich: ein Sprung zur Seite, um einen kräftigen Mann mit einem Stapel Macheten auf dem Arm vorbeizulassen; eine halbe Drehung, um zwei Räubern, die eine Holzkiste trugen, kein Bein zu stellen. An einem der Lagerfeuer spürte er ein vertrautes Zupfen an seiner Hose. Es war Septimus. Die Ratte kletterte auf seine Schulter.
»Da oben gefällt’s dir wohl, was?«, fragte Curtis, als der Nager sich auf seiner linken Epaulette niederließ.
»Ja, ist ganz schön hier«, antwortete Septimus. »Ich mag die Aussicht. Außerdem steh ich gern über den Dingen. Unten auf dem Boden ist jede Ratte auf sich selbst gestellt. Mir ist heute schon zweimal jemand auf den Schwanz getreten.«
»Sie sind eben nicht daran gewöhnt, eine Ratte im Lager zu haben«, sagte Curtis.
»Wohl nicht. Übrigens: Wo bist du vorhin gewesen? Wirkte geheimnisvoll.«
»Ich bin jetzt ein Räuber, Septimus. Offiziell. Hab den Eid abgelegt.«
»Aber hallo, Kleiner«, sagte die Ratte. »Echt beeindruckend. Wie fühlt sich das an?«
Curtis zuckte die Achseln. »Weiß nicht. Nicht anders als vorher, glaub ich.«
»Sie können jede Hilfe brauchen, die sie kriegen. Ich habe knapp hundert gezählt, genauer gesagt siebenundneunzig Räuber. Mit dir siebenundneunzigeinhalb.« Er kicherte über seinen eigenen Witz. Als sein Gesprächspartner darauf allerdings nicht reagierte, fuhr er fort: »Wie auch immer. Morgen Abend wird es keinen einzigen mehr geben. Null.«
»Septimus«, mahnte Curtis streng. »Was hab ich dir gesagt?«
»Keine schlechte Stimmung verbreiten. Kapiert.«
Sie kamen vor dem Munitionszelt an, einem großen, an die Mauer der Schlucht gelehnten Aufbau aus Leinwand. Ein grauhaariger Mann, der lauter Tränen auf die Wange tätowiert hatte, stand in der offenen Klappe und gab Kugeln und Schießpulver an eine Schlange wartender Männer und Frauen aus. Es ging schnell voran; jeder Räuber zog ab, sobald er von Damian seine Zuteilung erhalten hatte. Curtis war schon fast dran, als zwischen Damian und dem Mädchen vor Curtis eine hitzige Diskussion ausbrach.
»Tut mir leid, Aisling, was anderes bekommst du nicht«, sagte Damian ungerührt.
»Ach komm schon! Ich bin vierzehn!« Das Mädchen hatte das sandfarbene Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, ein bunter Rock wippte über ihren hohen Stiefeln und über der mit Asche befleckten weißen Bluse trug sie eine Nadelstreifenweste.
»Ganz genau«, gab Damian zurück. »Deine Pistolen kriegst du mit sechzehn. Der Nächste bitte!« Er bedeutete Curtis, vorzutreten.
Als Curtis einen Schritt nach vorn machte, sah Aisling ihn wütend an. »Aber der ist doch nicht älter als ich! Und er hat eine Pistole UND eine Machete!«
Betroffen sagte Curtis: »Entschuldige, ich kann eigentlich gar nichts dafür.«
Damian beäugte ihn misstrauisch. »Wo hast du das Zeug her?«
»Von Brendan«, erklärte Curtis. »Ich hab nicht darum gebeten, er hat mir die Sachen einfach gegeben.«
Empört blies Aisling sich eine Strähne aus dem Gesicht. »Na typisch. Brendan. Für einen Jungen ist es
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