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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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hatte dieses Territorium für sich beansprucht; unter den grünen Blättern ließ sich kaum noch Rinde erkennen. Es sah aus, als wäre der Efeu selbst die Ursache für das Abbrechen des Astes gewesen. »Sieh dir nur diese Efeublätter an.« Sie versuchte, den Tonfall eines Kunstlehrers anzunehmen. »Wie diese dünnen weißen Linien ein Muster auf dem Grün des Blattes bilden. Je mehr man sich mit den Einzelheiten befasst, desto mehr Spaß macht es.«
    Curtis zuckte die Achseln. Er zupfte an einer der Ranken. Hartnäckig klammerte sie sich an die Rinde, wie ein störrisches Tier. Curtis ließ sie wieder los und steckte die Hand stattdessen in die Tüte, um sich noch etwas Studentenfutter zu nehmen.

    Prue versuchte, die Stimmung aufzulockern. »Hey«, rief sie streng. »Hör auf, nur die Schokolade rauszupicken. Das ist total verboten.«
    Curtis lächelte verlegen und gab ihr die Tüte zurück.
    Nachdem sie die Hälfte des Studentenfutters gegessen hatten, holte Prue ihre Wasserflasche aus der Tasche und nahm einen Schluck. Sie reichte sie an Curtis weiter, der ebenfalls trank. Das frühe Morgenlicht wurde getrübt, als eine graue Wolkenbank über die Bäume heranwehte und die Sonne verdeckte.
    »Machen wir uns wieder auf den Weg«, sagte Prue.
    Sie stiegen weiter die Schlucht hinauf, und als der Boden unter ihnen steiler wurde, hielten sie sich an den Efeuranken fest. Das schmale Bachbett, das aussah, als würde es im Winter und Frühling sehr viel Wasser führen, war jetzt seicht und ziemlich trocken, und so stellten die beiden bald fest, dass sie leichter vorankamen, wenn sie es als Behelfspfad benutzten. Schließlich verflachte die Rinne am Gipfel eines Hügels, und wieder standen sie inmitten von Bäumen auf einem kleinen Plateau.
    »Ich muss mal«, sagte Prue.
    »Okay.« Geistesabwesend blickte Curtis zurück in die Schlucht.
    »Also stell dich da rüber.« Prue zeigte auf ein Farndickicht. »Und nicht kucken.«
    »Ach so! Ja. Klar. Ich lass dich mal in Ruhe.«
    Prue wartete, bis er hinter den Farnwedeln außer Sicht war,
suchte sich einen Platz hinter einem Baum und hockte sich hin. Gerade als sie fertig war, vernahm sie ein unverständliches Krächzen aus dem Dickicht. Rasch knöpfte sie ihre Jeans zu und kam vorsichtig hinter dem Baum hervor. Doch da war niemand.
    »Prue!«, wiederholte sich das Krächzen. Es war Curtis.
    Prue war erleichert. »Curtis, ich hab doch gesagt, du brauchst nicht zu flüstern.«
    »K-komm her!«, stotterte er immer noch im Flüsterton. »Und sei still .«
    Prue lief in die Richtung, aus der seine Stimme kam und kämpfte sich durch dichte Ranken. Auf der anderen Seite des Dickichts kauerte Curtis und starrte in die Ferne.
    »Da!«, raunte er und streckte den Zeigefinger aus.
    Prue blinzelte und riss die Augen auf. »Was …« Aber Curtis unterbrach sie.
    »Kojoten«, wisperte Curtis. »Und sie sprechen.«

FÜNF
Waldbewohner
    H inter dem Dickicht fiel der Boden steil ab, wodurch eine Art Vorsprung entstand, der über eine Wiese zwischen den Bäumen ragte. In der Mitte dieser Lichtung hatten sich etwa ein Dutzend Gestalten um die Überreste eines Lagerfeuers versammelt. Aus der Entfernung ließen sich kaum Einzelheiten ausmachen, aber die Gestalten waren eindeutig Kojoten: mit verfilztem grauem Fell und schmalen Hüften. Manche schlichen auf allen vieren um das glimmende Feuer, während andere auf den Hinterläufen standen und mit ihren langen grauen Schnauzen in die Luft
schnüffelten. Allerdings gab es zwei entscheidende Dinge, die diese Szene so verstörend machten: Erstens trugen alle die gleichen roten Uniformen und hohe Helme mit Federbüschen auf den Köpfen, und zweitens unterhielten sie sich ganz eindeutig miteinander. Auf Englisch.
    Die Kojoten redeten in einem spröden, kläffenden Tonfall und streuten immer wieder ein Knurren oder Bellen in ihre Sätze ein. Dennoch konnten Prue und Curtis einiges von dem, was sie sagten, verstehen.
    »Du bist doch zu nichts nütze!«, rief ein größerer Kojote und fletschte einen seiner kleineren Kameraden mit gelben Zähnen an.
    »Ich verlange ein einfaches Feuer, und ihr Idioten kriegt nicht mal eine winzige Glut zustande.« Einige der Tiere hatten etwas an einem Gürtel um ihre Taillen geschnallt, das aussah wie ein Säbel, andere hingegen stützten sich auf alte, mit Bajonetten bestückte Gewehre. Der größere Kojote hatte seine Pfote auf den verzierten Knauf eines langen, gekrümmten Schwertes gelegt.
    Derjenige, an den sich diese

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