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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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nachgedacht, was sie tun würde, wenn sie es erst einmal in die Undurchdringliche Wildnis geschafft hatte? Sich auf den Weg zu machen war das eine – aber was nun? »Das weiß ich auch nicht genau. Die Vögel sind ungefähr …«
    Curtis unterbrach sie. »Vögel? Welche Vögel?«
    »Die Vögel, die meinen Bruder entführt haben. Krähen, genauer gesagt. Ein ganzer Schwarm.«
    Curtis’ Kinnlade klappte nach unten. »Was soll das heißen, Vögel haben deinen Bruder entführt?«, stammelte er. »Im Sinne von – Vögel? «
    Prue riss ungeduldig die Augen auf und sagte: »Nimm dich mal ein bisschen zusammen, Curtis. Ich habe keine Ahnung, was los ist, aber ich bin nicht verrückt und ich muss das glauben, was ich mit eigenen Augen gesehen habe. Also, wenn du mitkommen willst, dann musst du diesen Kram eben auch glauben.«
    »Wow.« Curtis schüttelte den Kopf. »Aber okay, ich bin dabei. Ich mach mit. Und wie sollen wir herausfinden, wo diese Vögel sind?«
    »Sie sind in den Wald oberhalb der Eisenbahnbrücke geflogen. Und da ich nicht gesehen habe, dass sie zurückgekommen wären, muss ich davon ausgehen, dass sie irgendwo hier in der Gegend sind.« Sie betrachtete die Welt um sich herum: Der Wald erschien
grenzenlos und unverändert, die Schlucht stieg am Berg entlang an, so weit das Auge reichte. Das Wort hoffnungslos schoss ihr plötzlich durch den Kopf. Sie schob es schnell fort. »Ich schätze mal, wir müssen einfach weitersuchen und das Beste hoffen.«
    »Versteht er uns?«, fragte Curtis.
    »Was?«
    »Dein Bruder. Wenn wir ihn rufen, könnte er uns dann antworten?«
    Prue dachte kurz nach. »Nö. Er spricht seine eigene seltsame Sprache. Er brabbelt zwar ziemlich laut, aber ich bin mir nicht sicher, ob er reagieren würde, wenn wir seinen Namen rufen.«
    »Blöd.« Curtis kratzte sich am Kopf. Dann sah er Prue etwas kleinlaut an. »Nicht dass ich das Thema wechseln will oder so«, sagte er, »aber du hast nicht zufällig was zu essen dabei, oder? Ich hab ein bisschen Hunger.«
    Prue lächelte. »Doch, ich hab was.« Sie setzte sich auf einen dicken, abgebrochenen Ast und zog ihre Umhängetasche nach vorn. »Magst du Studentenfutter?«
    Curtis’ Gesicht hellte sich auf. »Oh ja! Dafür würde ich momentan sogar töten. «
    Mit Blick über das Dornengestrüpp der Schlucht saßen sie nebeneinander auf dem Ast und steckten sich handvollweise Studentenfutter in den Mund. Sie unterhielten sich über die Schule und über ihren traurigen, ewig betrunkenen Englischlehrer Mr. Murphy, der Tränen
in den Augen gehabt hatte, als er Captain Cats Eingangsmonolog aus Unter dem Milchwald von Dylan Thomas vorlas.
    »An dem Tag war ich nicht da«, sagte Curtis. »Aber ich hab davon gehört.«
    »Die anderen waren deswegen so gemein, hinter seinem Rücken«, erzählte Prue. »Das hab ich nicht kapiert. Ich meine, der Monolog ist doch wirklich hübsch, oder?«
    »Hmm. So weit bin ich nicht gekommen.«
    »Curtis, der ist auf den ersten zehn Seiten«, schnaubte Prue und warf sich noch eine Handvoll Erdnüsse in den Mund.
    Dann sprachen sie von ihren Lieblingsbüchern. Curtis beschrieb den seiner Meinung nach tollsten X-Men -Superhelden, und Prue zog ihn deswegen ein bisschen auf – ehe sie zugab, dass sie in den X-Men -Comics die Figur der Jean Grey am liebsten mochte und auf deren telekinetische Fähigkeiten ein bisschen neidisch war.
    »Warum hast du dann aufgehört?«, fragte Curtis nach einer kleinen Pause.
    »Womit?«
    »Ich kann mich daran erinnern, dass wir uns in der fünften Klasse immer gegenseitig Bilder zugesteckt haben. Von Superhelden. Du hast echt gute Bizepse gemalt. Deine Bizeps-Technik hab ich total abgekupfert.« Schüchtern schielte er in die Studentenfuttertüte und wühlte zwischen den Rosinen und Erdnüssen nach den M&Ms.
Prue fühlte sich ertappt. »Ich weiß auch nicht, Curtis«, sagte sie schließlich. »Mich hat das Zeug einfach irgendwann nicht mehr interessiert. Ich zeichne immer noch gern, sogar sehr gern. Aber eben andere Sachen. Wahrscheinlich werde ich einfach älter.«
    »Ja«, sagte Curtis. »Vielleicht hast du recht.«
    »Botanische Zeichnungen, das ist jetzt irgendwie mein Ding. Solltest du auch mal probieren.«
    »Botanisch? Wie, Pflanzen und so was malen?« Er war skeptisch.
    »Genau.«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht versuche ich’s mal. Und such mir einen Zweig zum Abzeichnen.« Er sprach leise, fast etwas bedrückt.
    Prue betrachtete den Ast, auf dem sie saßen. Ein wildes Gewirr von Efeu

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