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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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Wälder eindringen, wenn du selbst gebürtig von Waldzauber wärst.«
    Curtis starrte Alexandra an. Ein Schauer rieselte ihm über den Rücken.
    »Oder«, fuhr sie fort, »wenn du von jemandem begleitet würdest, der von Waldzauber ist.«
    Jetzt sah sie Curtis direkt in die Augen, und das Stahlblau ihrer Iris blitzte im Licht der flackernden Feuer. Sie lächelte.

    Die Sonne ging unter, und Prue wurde immer schläfriger, während das Postauto über die Lange Straße holperte und gelegentlich einen Schlenker machte, um den umgestürzten Baumstämmen und schlammigen Schlaglöchern auszuweichen, von denen die Straße übersät war. Das Gespräch war verstummt. Richard hatte seine Zigarre im Aschenbecher ausgedrückt und pfiff vor sich hin. Prue lehnte den Kopf an die Tür und beobachtete durch das Fenster, wie
sich die Gegend dort draußen im Laufe der Fahrt verwandelte: Aus dem dichten Gestrüpp und den dürren Bäumen wurden ausgedehnte Wälder aus Zedern und Tannen, deren knorrige Äste sich über die Straße reckten.
    »Der Alte Wald«, erklärte Richard, als sie unter den Wipfeln der riesigen Bäume hindurchfuhren.
    Prue nickte lächelnd. Eine große Welle der Müdigkeit schwappte über sie, und sie spürte, wie sie langsam eindämmerte, wie das Holpern des Lieferwagens sie in einen tiefen Schlaf schaukelte. Abrupt wachte sie wieder auf, als der Transporter mit einem Ruck zum Stehen kam. Es war jetzt dunkel, und sie wusste nicht, wie lange sie geschlafen hatte. Im krummen Licht der Scheinwerfer glaubte Prue, Vögel zu erkennen, doch ihre Augen waren noch zu schläfrig, als dass sie ihnen hätte trauen können. Richard zog mit beiden Armen die Handbremse an und schaltete in den Leerlauf, dann wandte er sich an Prue und sagte: »Kontrolle. Du musst vielleicht aussteigen.« Er stieß die Tür auf und trat auf die Straße.
    Prue rieb sich die Augen und blinzelte durch die schmutzige Windschutzscheibe. Da war ein seltsames Flimmern gleich außerhalb der Scheinwerferkegel. Sie versuchte angestrengt, sich einen Reim darauf zu machen, als plötzlich zwei schuppige Klauen auf der Motorhaube vor ihr landeten. Überrascht schrie sie auf und ließ sich in den Sitz zurückfallen. Ein riesiger Steinadler – Aquila chrysaetos, sie erkannte ihn sofort aus ihrem Vogelbuch – reckte den
Hals vor und spähte neugierig durch die Scheibe. Und mit einem Schlag wimmelte es im Scheinwerferlicht hinter ihm von Vögeln aller Art: Drosseln, Reiher, Adler, Eulen; manche flatterten hin und her, andere setzten sich auf den Boden, wieder andere versuchten, mit ihren Krallen auf der Motorhaube Halt zu finden. Prue drückte sich noch tiefer in den Sitz, während der Adler seine Erforschung des Führerhäuschens fortsetzte. Inmitten des heiseren Vogelgeschreis erschien Richard und trat ins Licht. Er schwenkte auf Armeslänge von sich gestreckt ein kleines aufgeschlagenes Buch. Der Adler auf der Motorhaube wandte sich von der Windschutzscheibe ab, hüpfte hoch und landete nach einigen kraftvollen, schnellen Schlägen seiner mächtigen Flügel auf einem Ast direkt vor Richard.
    »Sie werden feststellen, dass alles in Ordnung ist, General«, sagte Richard zu dem Adler, der eingehend das Büchlein studierte. Nachdem der Vogel sich davon überzeugt hatte, dass dem tatsächlich so war, flog er zurück zu seinem Platz auf der Motorhaube. Bei seiner Landung störte er eine Gruppe von Kleibern auf, dann richtete er seine stählernen Augen wieder auf Prue.
    »Und wer ist Ihre Begleitung, Postmeister?«, fragte er.
    Richard lachte. »Tja, darauf wollte ich auch noch zu sprechen kommen.« Er ging zum Fenster auf der Fahrerseite, klopfte an die Scheibe und bedeutete Prue, auszusteigen. »Ein Außenweltkind, Herr General. Ein Mädchen. Ich hab’s am Straßenrand gefunden.«

    Prue öffnete die Wagentür und trat auf den Kies hinaus. Sofort flatterte eine Schar kleinerer Vögel herbei, umkreiste hektisch ihren Kopf und ihre Schultern, streifte ihre Haare und pickte an der Jacke.
    »Eine Außenweltlerin?«, fragte der Adler ungläubig. Er flog auf die andere Seite des Transporters und stieß ein lautes Kreischen aus, das die kleineren Vögel in die umstehenden Bäume verscheuchte. Aufmerksam musterte er Prue und sagte: »Unglaublich. Wie hast du das gemacht, Mädchen?«
    »Ich … bin gelaufen«, antwortete Prue entgeistert. Noch nie war sie einem Adler so nah gewesen. Es war überwältigend.
    »Gelaufen?«, fragte der Adler. »Lächerlich. Was willst du in

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