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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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so weit weg von seinen Eltern war wie noch nie zuvor – tief im Inneren eines Kojotenbaus als der Gefangene einer Armee sprechender Tiere und ihrer seltsamen, geheimnisvollen Anführerin –, fühlte Curtis sich ziemlich gut. Er hatte noch eine zweite Portion Hirscheintopf verspeist, der ihm unglaublich gut schmeckte, und
wusste schon gar nicht mehr, wie oft ihm von dem Brombeerwein, den er ebenso wunderbar fand, nachgeschenkt worden war. Bei kühlem, klarem Tageslicht betrachtet, so überlegte er, käme ihm seine derzeitige Lage sicher ziemlich sonderbar und beängstigend vor, aber hier in dieser warmen Erdhöhle mit den brennenden Feuerschalen und dem bequemen Moos sah alles ganz besonders rosig aus. Er war fasziniert von seiner Gastgeberin, der schönsten Frau, der er je begegnet war, und bildete sich ein, mit jedem Becher Wein selbst ein wenig charmanter und charismatischer zu werden. Gerade erfreute er sie mit der wahren Geschichte, wie er und ein Klassenkamerad eine ganze Reihe Neonlampen zerbrochen hatten, als sie in einer Werkstatt Fünfcentstücke auf einem Amboss flach hämmern wollten. Er hatte eine der Münzen in einem ungünstigen Winkel getroffen, und sie war wie eine Pistolenkugel nach oben geschossen und hatte »das ganze Licht ausgeknipst! DUUUUUSCH! Und alle so: WAAAAAAS?« Er machte eine Kunstpause, während Alexandra herzhaft lachte. Sie bedeutete einem Diener, seinen Becher aufzufüllen. »Und ich bin einfach so über … oh, gern, ich nehm noch ein Schlückchen … über die Glasscherben spaziert und hab die fünf Cent aufgehoben und so gemeint: ›Die behalte ich, vielen Dank auch .‹« Er grinste und mimte, wie er die Münze in die Jeanstasche steckte. Als er einen Schluck Wein schlürfte, kleckerte er ein bisschen auf seinen Mantel. »Au weia, das gibt Flecken!« Jetzt prustete er so heftig los, dass er den Becher abstellen und sich erstmal wieder sammeln musste.

    Die Gouverneurin amüsierte sich ebenfalls, doch ihr Lachen erstarb abrupt, als sie zu sprechen begann. »Ach, Curtis, wie entzückend . Ausgezeichnet . Jemanden wie dich findet man wirklich nicht alle Tage. Kein Wunder , dass du dich ganz allein in diesen Wald getraut hast. Du bist ein außerordentlich unabhängiger Geist, nicht wahr?«
    »Na ja, also.« Er bemühte sich, nüchtern zu klingen. »Ich … ich war schon immer ein Einzelgänger. Bin eher für mich geblieben. Aber so, äh, so ticke ich eben. Ich mache mein eigenes Ding. Et cetera, et cetera .« Er nippte an seinem Becher. »Aber ich bin auch im Team gut. Ehrlich. Wenn Sie jemals einen Partner brauchen, dann bin ich Ihr Mann. Prue wollte mir erst nicht glauben, aber eine Zeit lang waren wir ein ziemlich gutes Team; wir waren wie richtige Partner.«
    »Wer?«
    »Wer? Habe ich einen Namen gesagt? Prue? Ich glaube, ich meinte Du , im Sinne von ›Du glaubst es nicht‹.« Curtis wurde blass. »Mannomann, das Zeug ist echt stark.« Er fächelte sich mit der Hand Luft zu und stellte den Becher ab.
    »Prue. Du erwähntest den Namen Prue«, sagte die Gouverneurin mit ernster Miene. »Also warst du vielleicht doch nicht allein auf deinem kleinen Ausflug in den Wald.«
    Curtis verschränkte die Hände zwischen den Knien, atmete tief ein und laut wieder aus. Der Wein hatte eine unerwartete Wirkung
auf ihn gehabt: Er hatte völlig den Faden verloren. Mühsam versuchte er, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. »Na gut«, sagte er schließlich. »Möglicherweise war ich in dieser Hinsicht nicht hundertprozentig ehrlich zu Ihnen.«
    Die Gouverneurswitwe zog eine Augenbraue hoch.
    »Es war Prues Idee, in den Wald zu gehen – sie ist meine, tja, meine Freundin oder so. Eine Klassenkameradin. In der Schule sitzt sie nur zwei Reihen weiter. Aber außerhalb der Schule haben wir nie so viel zusammen gemacht.«
    Alexandra machte eine ungeduldige Handbewegung, damit er fortfuhr. »Und was hat dich in diesen Wald geführt?«
    »Tja, ich bin ihr heute Morgen gefolgt. Sie ist hier auf der Suche nach … nach ihrem kleinen Bruder, der …« An dieser Stelle stockte er und sah sich um. »Das klingt jetzt ein bisschen verrückt, aber nach allem, was ich heute erlebt habe, kommt es mir eigentlich auch wieder ziemlich normal vor. Ihr Bruder wurde von Krähen entführt. Einem ganzen Schwarm. Sie haben den Kleinen wohl einfach hochgehoben und in diesen Wald gebracht, und deshalb wollte Prue hinterher.«
    Die Gouverneurin blickte Curtis gespannt an.
    »Und ich bin ihr nachgelaufen. Dachte, sie

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