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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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Tavernen, Schuhgeschäfte und Eisdielen anpriesen. Hier lief der Verkehr so zäh, dass sich der Lieferwagen auf der steilen und stark befahrenen Straße nur ruckartig voranschleppte. Jedes Mal, wenn er wegen eines stehenden Autos oder eines Fußgängers auf die Bremse treten musste, stieß Richard einen unterdrückten Fluch aus. Endlich erreichten sie den Gipfel, der Verkehr lichtete sich, der Wald und die Gebäude blieben hinter ihnen zurück und gaben einen fantastischen Anblick frei: Inmitten eines makellosen Parks stand ein prachtvolles Granitgebäude, dessen Fenster in der frühen Morgensonne funkelten. Prue atmete hörbar ein; es war einfach wunderschön.
    »Die Villa Pittock, vor mehreren Jahrhunderten von William J. Pittock als Herrschersitz für Südwald erbaut, hat im Laufe der Zeit viele Male den Besitzer gewechselt, meistens friedlich, manchmal allerdings auch gewaltsam«, erklärte Richard im Reiseführerton, »wie du an den vielen Kanonen- und Gewehreinschusslöchern im Granit sehen kannst. Dieses Land ist durch stetige Auseinandersetzungen entstanden, und leider sind bis heute nicht gerade viele dieser Unstimmigkeiten bereinigt.« Tatsächlich konnte Prue die verbeulten Stellen im herrschaftlichen Stein erkennen, welche allerdings die Vornehmheit des Gebäudes nicht im Geringsten minderten. Die Nordecken der Villa wurden von zwei rot gedeckten Erkertürmen gekrönt, zwischen denen im ersten Stock ein schöner Balkon verlief.
    Um das Gebäude herum lag ein tadellos gepflegter englischer
Rasen; Hecken und im Frühling blühende Bäume waren fächerartig in symmetrischen Mustern angeordnet – ein krasser Gegensatz zum Gedränge und Chaos der belebten Straßen im darunter liegenden Wald. Einige Pärchen spazierten über die Kieswege; in einem prächtigen, mit einer Statue versehenen Springbrunnen paddelten Gänse, die sich begeistert von einer Biberfamilie mit Brotkrümeln füttern ließen. Hier fuhr Richard von der Langen Straße ab und folgte einer gewundenen Auffahrt ins Innere der Anlage, an deren Ende ein schmiedeeisernes Tor geöffnet wurde. Richard manövrierte das Postauto durch das Getümmel von Wagen und Staatskarossen, die den Weg verstopften. Vor einer gläsernen Flügeltür hielt er schließlich an.

    »Da wären wir«, sagte er, ohne den lärmenden Motor abzustellen.
    »Dann wollen wir mal«, murmelte Prue, als sie die Tür aufstieß und auf das Kopfsteinpflaster trat.

    Curtis hingegen hatte einen weniger angenehmen Start in den Tag.
    Unmittelbar vor dem Aufwachen hatte er eindeutig das Gefühl, zu Hause zu sein, in seinem Bett, unter der Decke mit dem Spiderman-Bezug. Noch mit geschlossenen Augen staunte er über den merkwürdigen und lebhaften Traum, den er gehabt hatte – irgendetwas mit ihm und Prue McKeel und einer Reise in die Undurchdringliche Wildnis; zeitweise war der Traum furchterregend gewesen, jetzt aber empfand er ein dumpfes, nagendes Widerstreben, in sein normales Leben zurückzukehren. Als er sich schließlich doch fügte und die Augen aufschlug, entfuhr ihm ein Schrei.
    Über ihm stand eine kopflose Gestalt in Offiziersjacke, deren Arme und Beine aus den Zweigen eines Laubbaums bestanden. Sie ragte über ihm auf und schien jeden Moment dazu bereit, auf ihn einzuschlagen. Curtis griff nach seiner Bettdecke, doch sie war nicht da; seine Hände versanken in den Mooskissen des Podests. Allmählich zeichnete sich seine Umgebung deutlicher ab: der verschnörkelte Thron, die von Wurzeln durchwachsene Decke, die rissige Erde der Wände. Auf einen Schlag begriff er, wo er war: im Thronsaal
der Gouverneurswitwe. Er krabbelte rückwärts, drückte sich an die raue Mauer und machte sich bereit für den Angriff. Die Gestalt rührte sich nicht.
    Dafür ertönte eine Stimme aus der Mitte des Raums. »Guten Morgen, junger Herr«, sagte die Stimme knurrig, schroff und spröde. Curtis sah einen der Kojotensoldaten – wie aus seinem Traum entsprungen – ins Licht der Feuerschalen treten.
    Eine bedrückende Übelkeit kroch Curtis’ Kehle hinauf, und sein Mund war furchtbar trocken. Rasch schielte er noch einmal zu der uniformierten Gestalt neben seinem Moosbett und erkannte zu seiner Erleichterung, dass es nur eine Kleiderpuppe war.
    »Die Gouverneurswitwe wünscht, dass Sie diese Uniform bekommen. Ich habe Anweisung, Sie anzukleiden und sicherzugehen, dass sie auch richtig passt.« Der Kojote deutete auf den Kleiderständer. Ein Hauch von Unmut lag in seiner Stimme.
    Die Jacke sah besser

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