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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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könnte Hilfe gebrauchen. Und hier bin ich also«, schloss Curtis. Er sah Alexandra beschwörend an. »Bitte nicht böse sein. Ich weiß, dass ich erst gesagt habe, ich wäre allein, aber ich war mir nicht sicher, was los ist oder
ob Sie alle … also … vertrauenswürdig sind.« Er massierte sich den Bauch und blies die Wangen auf. »Puh, mir ist gar nicht gut.«
    Es folgte eine lange Stille. Ein kalter, modriger Windstoß fegte durch den Raum und brachte die Flammen in den Feuerschalen zum Flackern. In der Ecke hustete ein Kojote, räusperte sich und entschuldigte sich dann.
    »Wir sind sehr vertrauenswürdig, Curtis«, brach die Gouverneurswitwe schließlich das Schweigen. »Du solltest keine Angst haben, uns irgendetwas zu erzählen. Das hier muss ein ziemlicher Schock für dich sein, nachdem du ja in der profanen Außenwelt aufgewachsen bist, mit euren alltäglichen Erfahrungen und euren Haustieren, die so wenig intelligent sind, dass sie nicht einmal sprechen können. Ich kann dein Zögern, mir zu vertrauen, nachvollziehen, besonders da mein Kommandant und seine rohen Untergebenen dich so respektlos behandelt haben. Manchmal sind sie ein grässlicher Haufen. Ich kann nur untertänigst um Verzeihung bitten. Wir sind hier einfach nicht an Besucher gewöhnt.« Die Gouverneurin strich mit dem Finger über die geschnörkelte Holzmaserung der Armlehne. »Und ich kann dir gleich sagen, dass wir nicht zum ersten Mal Beschwerden über diese aufdringlichen Krähen hören. Die ganze Spezies neigt zu dieser Art von bösartigem Treiben. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie etwas Ungehöriges mit dem Bruder deiner Freundin vorhaben. Wahrscheinlich behalten sie ihn einfach ein wenig und spielen mit ihm wie mit irgendeinem Krimskrams,
und wenn sie seiner überdrüssig werden, bringen sie ihn dorthin zurück, wo sie ihn gestohlen haben.«
    »Sp-spielen mit ihm? Ehrlich?«, fragte Curtis.
    »Aber ja. Wobei ich nicht glaube, dass sie ihm wirklich etwas zu Leide tun werden.« Sie dachte kurz nach und ergänzte dann: »Solange er nicht aus einem ihrer Nester stürzt.«
    »Stürzen? Aus einem Nest?«
    »Ja, ich gehe davon aus, dass sie ihn darin unterbringen. Sie sind berüchtigt dafür, ihre Nester recht hoch in den Bäumen zu bauen. Aber an sich sollte ihm nichts zustoßen; Krähen passen sehr gut auf ihre Habe auf. Er ist absolut sicher, vorausgesetzt, er wird nicht von einem Bussard oder dergleichen gestohlen.«
    »Ein Bussard könnte ihn stehlen?«
    Sie nickte. »Oh ja, aber dann, lieber Curtis, weiß ich nicht, ob man etwas tun könnte. Bussarde lieben Menschenfleisch.«
    Curtis krümmte sich und hielt sich die Hand vor den Mund. In den vergangenen Minuten war er deutlich bleicher geworden.
    »Aber nur keine Sorge, Curtis!« Die Gouverneurin beugte sich vor. »Ich werde persönlich dafür sorgen, dass ein Bataillon zur Rettung des kleinen Bruders deiner Freundin abgestellt wird. Wir haben nicht zum ersten Mal mit diesen Krähen zu tun; in ein paar Tagen haben wir den Jungen mit Sicherheit aufgestöbert, verlass dich darauf.«
    Das trübe Licht der Höhle waberte, die Erdwände begannen sich
leicht zu drehen und in Curtis’ Magen machte sich Übelkeit breit. Das Gefühl ließ allerdings nach, wenn er die Augen schloss, darum krächzte er: »Ich glaube, ich ruhe mich kurz etwas aus, wenn das okay ist«, senkte die Lider und lehnte sich weiter auf den Mooskissen zurück.
    »Du musst erschöpft sein, mein lieber Junge«, ertönte die Stimme der Gouverneurin, die in der Dunkelheit nun etwas näher klang. »Ruh dich aus. Wir sprechen morgen weiter. Leg dich hin. Schlaf. Schlaf und träum.«
    Und genau das tat Curtis.
    Er merkte nicht, dass die Gouverneurin ihn zärtlich betrachtete. Er spürte nicht, wie sie eine Pelzdecke über ihn breitete und ordentlich unter seinem Kinn feststeckte. Er hörte nicht, wie sie tief aufseufzte und ihm beim Schlafen zusah.

    Die ersten gebrochenen Sonnenstrahlen sickerten bereits durch die Äste, als das Postauto vor einer massiven Steinmauer anhielt. Eine hohe hölzerne Flügeltür markierte die Einfahrt, und auf dem Steinbogen darüber war auf einem geschnitzten Schild NORDTOR zu lesen. Erschöpft von der langen Nachtfahrt rieb Prue sich den Schlaf aus den Augen. Durch das Seitenfenster blickte sie auf die stattliche Mauer, die sich in beide Richtungen erstreckte, bis sie in weiter Ferne von Bäumen verschluckt wurde. Ein zarter Dunst lag über dem Waldboden, das Grün wurde von dem

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