Wildwood

Warteliste gesetzt, und wenn der Name auf der Liste ganz nach oben gerutscht ist, wird man vom Attaché benachrichtigt und kann einen Termin für eine Audienz vereinbaren.« Während dieser Erklärung begutachtete der Mäuserich die Käsescheibe in einer seiner spindeldürren Pfoten. Offenbar zufrieden steckte er sich dann das gesamte Stück auf einmal in den Mund.
    »Aber …«, setzte Prue an. »Wie lange dauert das denn?«
    »Also«, schmatzte der Mäuserich mit vollem Schnäuzchen, »das Amtszimmer befindet sich im Südgebäude, ein Stück die Straße runter. Ich glaube, die Geschäftszeiten sind von zwölf bis drei Uhr, mittwochs und freitags.«
    »M-mittwochs und freitags?«, stotterte Prue. Ihrer Rechnung nach war heute Montag.
    »Mhm«, entgegnete der Mäuserich teilnahmslos. »Am besten kommst du ganz früh, denn es gibt immer eine Warteschlange. Wenn du auf der Liste stehst, beträgt die Bearbeitungszeit in der Regel fünf bis zehn Werktage, dann bekommst du einen Termin – normalerweise
nach mindestens drei bis vier Wochen, je nach Jahreszeit.«
    Prue war fassungslos. Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. »Aber mein Bruder! Mein Bruder wurde entführt, und ich muss ihn finden! Er ist irgendwo da draußen im Wald – so lange kann er unmöglich überleben!«
    Der Mäuserich zuckte ungerührt die Achseln. »Wir alle haben unsere Probleme.« Damit warf er sich das letzte Stückchen Möhre in den Mund, trank das Bier aus und räumte sein Miniaturpicknick zusammen.
    Prue schluckte und betrachtete die Horden von Menschen und Tieren, die sich in der Halle herumdrückten. Erneut hatte der Attaché den Raum verlassen, und die Anwesenden wandten sich wieder ihren ursprünglichen Tätigkeiten zu, während sie auf seine Rückkehr warteten.
    »Und was ist mit denen?«, fragte sie den Mäuserich. Er wischte sich die Mundwinkel mit dem Taschentuch ab.
    »Denen?«
    »Ja, wenn es eine Warteliste gibt und man einen Termin bekommt, warum versuchen alle hier, den Attaché zu erwischen?«
    Der Mäuserich stopfte sich das Taschentuch in die Westentasche und rieb sich die Hände. »Tja, das System ist eben fehlerhaft. Manchmal klappt es auch, wenn man einfach laut genug brüllt. Wer weiß?« Er zuckte erneut die Achseln, grüßte knapp und ging.

    Prue wartete einen Augenblick und musterte nachdenklich die Menge in der Halle. Sie fragte sich, wo wohl die beste Ausgangsposition wäre; wo sie sich dem gehetzten Attaché am leichtesten bemerkbar machen könnte. Obwohl sie eigentlich nichts gegen größere Ansammlungen hatte — deren Anonymität ihr normalerweise irgendwie Selbstvertrauen gab —, fand sie diese spezielle hier furchtbar einschüchternd. Doch dann nahm sie allen Mut zusammen, stellte sich an den Fuß der Treppe und legte die Hand auf das Elfenbeingeländer. Ein Mann mittleren Alters und ein Dachs, die sich neben den Stufen in gedämpftem Ton unterhielten, nickten ihr flüchtig von der Seite zu, dann rissen sie die Köpfe herum. Prue lächelte und winkte zaghaft.
    »Verzeihung, Fräulein«, sagte der Mann, »mein Freund und ich haben gerade überlegt, ob es sein kann, dass Sie aus der Außenwelt kommen.« Er hatte einen langen, graumelierten Bart und war seiner Kleidung nach eine Art Marineoffizier.
    »Ja«, entgegnete Prue. »Komme ich.«
    »Unglaublich«, sagte der Offizier. »Und Sie haben eine Audienz beim Gouverneurregenten?«
    »Nicht direkt«, meinte Prue. »Ich habe keinen Termin oder so. Aber ich muss ihn wirklich unbedingt sprechen, deshalb dachte ich, man könnte mich vielleicht irgendwo reinschieben.«
    Stirnrunzelnd schüttelte der Mann den Kopf. »Na dann viel Glück. Ich habe seit Wochen einen Termin und habe es trotzdem noch nicht geschafft, zum Gouverneur vorzudringen. Mein Schiff
liegt mitsamt seiner ungeduldigen Mannschaft im Hafen, und dabei fehlt mir nur noch der Stempel auf diesen vermaledeiten Papieren, dann könnte ich los.« Wütend hielt er ein Blatt Papier hoch. »Ich kann Ihnen sagen …« Jetzt blickte sich der Offizier verschwörerisch im Raum um. »Dieses Land hat sich immer noch nicht von dem Putsch erholt, nach all den Jahren. Diese Tölpel haben doch keine Ahnung, wie man regiert, nicht mal ansatzweise.« Er straffte die Schultern, strich sich die Jacke vorne glatt und sah Prue an. »Ist das in der Außenwelt genauso? Müssen Sie sich auch mit solchem Wahnsinn herumschlagen?«
    Prue dachte kurz nach. Ihr einziger Kampf mit der Bürokratie hatte bis jetzt darin