Wildwood
Hindernis für dieses unentwegte Hin und Her bestand aus einer leuchtend weißen Treppe, die sich in der Raummitte vom polierten Fußboden nach oben wand. Ein Warzenschwein in einem grünen Cord-Dreiteiler, die Daumen seiner Klauen in die Armlöcher der Weste gesteckt, hielt vom mittleren Absatz der Treppe aus Hof; um es herum drängte sich ein kleines Gefolge und lauschte seinen Worten. Zwei Schwarzwedelhirsche, deren Krawatten über den Oxfordhemden genau zu ihren Schwänzen passten, stritten sich heftig neben der Marmorbüste eines wichtig aussehenden Mannes; ein Eichhörnchen stand nickend auf der Kante des Büstensockels.
Von Zeit zu Zeit schwenkte die allgemeine Aufmerksamkeit im Raum auf eine einzelne Gestalt – einen durch die Halle hastenden ergrauten Mann mit dicken Brillengläsern, der einen entmutigend hohen Stapel Papiere und Aktenordner vor der Brust balancierte. Sobald dieser Mann auftauchte, durch eine Tür eintrat und auf der gegenüberliegenden Seite des Raums durch eine andere wieder verschwand, ließen die meisten Anwesenden prompt alles stehen und liegen und flehten ihn geradezu um seine Aufmerksamkeit an. Der
Mann jedoch ignorierte sie alle ausnahmslos, und wenn sich die Tür hinter ihm wieder geschlossen hatte, setzte die chaotische Geschäftigkeit im Raum wieder ein. Schließlich sagte Richard: »Ich glaube, das ist der Bursche, an den du dich wenden musst – der Attaché des Gouverneurs.« Prue sah dem Postmeister an, dass er genauso verstört war wie sie selbst. Sie atmete tief durch und streckte ihm die Hand entgegen.
»Ich glaube, ab jetzt komme ich allein klar«, sagte sie. »Sie müssen die Post zustellen.«
Richard wirkte erleichtert. Er schüttelte ihre Hand. »Hat mich sehr gefreut, dich kennenzulernen, Portland-Prue. Ich hoffe, unsere Wege kreuzen sich wieder mal. Ich wünsch dir viel Glück.«
Er wandte sich zum Gehen, zögerte aber an der Tür und sah sich noch einmal um. »Wenn du irgendwas brauchen solltest: Ich bin im Postamt – gleich südwestlich dieser Villa hier. Das heißt natürlich, wenn ich nicht gerade unterwegs bin.« Er schenkte ihr ein warmes Lächeln.
»Danke, Richard«, sagte Prue. »Danke für alles.«
Nachdem er gegangen war, stand Prue eine Zeit lang nur da und beobachtete das emsige Treiben. Sie nickte einem betagten Schwarzbären zu, der an ihr vorbei zur Eingangstür hinkte; sie lächelte eine Frau mit Schmetterlingsbrille höflich an, die sie beinahe über den Haufen gerannt hätte, weil sie so konzentriert auf einen Papierstapel in ihren Händen starrte. Schließlich bemerkte Prue, dass sich
die allgemeine Aufmerksamkeit wieder auf eine Flügeltür richtete, durch die der bebrillte Attaché erschien und sich seinen Weg durch die überfüllte Halle bahnte.
Prue machte einen Schritt nach vorn, hob die Hand und wollte schon zu sprechen beginnen – da brach ein Höllenlärm los. Jede nur erdenkliche Stimme war zu vernehmen: die inbrünstigen Rufe der Menschen, das ohrenbetäubende Gebrüll der Bären, das schrille Kreischen der Häher, Schwalben und Kleiber, die wütend durch den Raum flatterten. Doch der Attaché schob sich unbeirrt durch die Menge. Prue sah hilflos zu, wie er vom Gewimmel der Menschen und Tiere verschluckt wurde, die alle verzweifelt um sein Wohlwollen wetteiferten. Als sich dieses Knäuel nur einen Meter von ihr entfernt vorbeischob, wagte Prue einen zweiten Versuch. Erneut hob sie die Hand und sagte: »Entschuldigung!« Doch es geriet so kraftlos, dass es in dem Tumult völlig unterging.
»So wird das nichts«, sagte eine Stimme neben ihr.
Prue blickte zur Seite, doch da war niemand.
»Hier unten«, sagte die Stimme.
Jetzt erst bemerkte Prue einen Feldmäuserich, der seelenruhig an einer aufgeknackten Haselnuss knabberte. Offenbar machte er gerade Mittagspause. Er saß an den Fuß einer Säule gelehnt, und auf einem vor ihm ausgebreiteten Taschentuch lagen verschiedene Nahrungsmittel ordentlich aufgereiht: ein Stückchen Möhre, eine winzige Scheibe Käse und ein Fingerhut voll Bier. Er spülte einen Bissen
Haselnuss mit einem Schluck Bier hinunter, räusperte sich und sagte: »Stehst du auf der Liste?«
»Liste?«, fragte Prue verblüfft. »Welche Liste?«
Der Mäuserich verdrehte die schwarzen Knopfaugen. »Du bist doch vermutlich hier, um den Gouverneurregenten zu sprechen. Und jeder, der eine Audienz bei Gouverneur Svik möchte, muss sich im Amtszimmer anmelden. Sobald man angemeldet ist, wird der Name auf eine
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