Wildwood
einem Schulfest in der Turnhalle. Doch abgesehen vom Klicken der Gewehrhähne und dem gähnenden Knarzen der gespannten Bogen bewegten sie sich völlig lautlos.
Da erschien die Gouverneurin auf ihrem Pferd unter Curtis’ Baum. Furchtlos galoppierte sie in die vorderste Reihe, zog ihr Schwert und richtete es auf die Armee jenseits der Senke.
»Räuber!«, brüllte sie. »Ich gebe euch eine letzte Chance, die Waffen niederzulegen und euch zu unterwerfen. Wer sich ergibt, wird mit Gerechtigkeit und Milde behandelt. Die anderen haben mit dem Tod zu rechnen!«
Das Pferd tänzelte seitwärts und wieherte. Von der anderen Seite kam keine Antwort. Eine Brise rüttelte in den stillen Zweigen. Das
Nachmittagslicht fiel schräg durch die Bäume und warf lange, drohende Schatten auf den Boden.
»Also gut!«, sprach Alexandra weiter. »Ihr habt euer Schicksal gewählt. Kommandant, fertigmachen zum …«
Ffffp . Ein Pfeil sauste an ihrer Wange vorbei und bohrte sich mit einem hölzernen Ploppen in einen Baumstamm. Ihr Pferd bäumte sich auf, und die Gouverneurin hatte Mühe, es zu bändigen, ohne den wütenden Blick vom gegenüberliegenden Abhang loszureißen.
Plötzlich löste sich ein Mann aus der Menge. Er hatte einen dichten roten Bart und trug die Überreste einer Art Offiziersjacke, deren roter Stoff mit Schmucknähten versehen und von Dreck und Asche verunstaltet war. Auf seinen wettergegerbten Wangen prangten fingerbreite Farbstreifen. Er hielt einen knotigen Eibenbogen in der behandschuhten Hand, dessen Sehne noch von dem gerade abgegebenen Schuss zitterte. In seinem verfilzten, lockigen roten Haar saß eine geflochtene Krone aus Efeu und Scheinbeerenranken, und auf seine Stirn war eine Art Totemzeichen wie ein Stammessymbol tätowiert.
»Du kannst dir dieses Land nicht einfach nehmen!«, rief der Mann. »Du wirst erst Königin von Wildwald, wenn wir tot auf der Erde liegen!« Die Räuberarmee um ihn herum begleitete seine trotzige Herausforderung mit ungestümem Jubelgeschrei.
Doch die Gouverneurin lachte nur. »Ganz deiner Meinung!«, rief sie. Endlich hatte sie ihr Pferd wieder unter Kontrolle. »Obwohl mir nicht ganz klar ist, welche Autorität dich zum König gekrönt hat, Brendan!«
Brendan brummelte etwas halblaut, dann erwiderte er: »Wir folgen keinem Gesetz, erkennen keine Regierungsgewalt an. Sie nennen mich den Räuberkönig, aber ich habe auch nicht mehr Rechte auf diesen Titel als jeder andere hier, jedes Tier, jeder Vogel oder Mensch, der dem Kodex und dem Eid der Räuber folgt.«
»Diebe!«, schrie Alexandra zornig. »Gemeine Diebe und Banditen! König der Bettler ist dein rechtmäßiger Titel!«
»Halt die Klappe, Hexe«, entgegnete Brendan ruhig.
Die Gouverneurin lachte wieder und trieb ihr Pferd mit einem Schnalzen vom Abhang weg. Als sie am Kommandanten vorbeiritt, befahl sie ihm ausdruckslos: »Vernichtet sie.«
»Jawohl, Frau Gouverneurin«, gab der Kommandant lächelnd zurück. Dann hob er den Säbel und rief: »Füsiliere!«
Die Reihe stand mit den Musketen im Anschlag bereit.
»Feuer frei!«
Ein stakkatoartiges Knattern folgte, und die Luft über der Schlucht füllte sich mit dichtem, beißendem Rauch, als die Füsiliere in die gegnerische Räuberarmee schossen.
Als sich der Dunst lichtete, sah Curtis, wie mehrere Räuber in die Senke stürzten; ihre leblosen Körper rollten durch den Farn, während andere schon hastig ihre Position einnahmen. Für eine halbe Sekunde, die Curtis wie eine Ewigkeit vorkam, herrschte erschrockene Stille – die unvermittelt von einem vereinten, leidenschaftlichen Aufschrei der gesamten Hügelflanke zerrissen wurde: Das Räuberheer stürmte den Abhang hinunter, die Schwerter, Knüppel und Messer hoch über die Köpfe gereckt. Eine lose Anordnung von Bogenschützen in ihrem Rücken ließ einen Pfeilregen auf die Kojoten niederprasseln, der zu Curtis’ Entsetzen die Reihe der Füsiliere stark dezimierte: Dutzende von ihnen kippten mit aus der Brust ragenden Geschossen vornüber in den Abgrund.
Bevor jedoch die Räuber die andere Seite der Schlucht erstürmen konnten, traten die Bogenschützen der Kojoten auf Kommando nach
vorn in die Stellungen der Füsiliere. »Schützen!«, brüllte der Kommandant aus ihrer Mitte. »Feuer frei!«
Erneut schwirrte eine dichte Wolke von Pfeilen über die Schlucht – dieses Mal in umgekehrter Richtung, sodass der Abhang jetzt von den Räubern übersät wurde, die den Pfeilen unglückseligerweise in die Quere
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