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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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deren Hüter immer noch Klinge an Klinge mit ihren Räuberfeinden fochten.
    »Eigentlich könnte ich auch …«
    Er rannte zu der Kanone und hielt die Schnur in das Zündloch. Sofort fing das Pulver Feuer, die Kanone ging los, und Curtis wurde umgeworfen, als das Geschütz wie ein störrisches Maultier nach hinten ausschlug. Die Luft füllte sich mit Rauch und Funken und die Welt um ihn herum verstummte völlig bis auf ein leises, hohes Pfeifen.
    »Wahnsinn«, fühlte er sich flüstern, denn er konnte absolut nichts hören.

    Prue konnte sich nicht daran erinnern, jemals so ungeduldig auf die Dunkelheit gewartet zu haben wie jetzt. Sie saß in ihrem Zimmer am Fenster und sah die große Scheibe der Sonne in weiter Ferne hinter den Gipfeln des Kaskadengebirges versinken, bis der Wald dunkel war. Mit dem abnehmenden Tageslicht wurde auch die Betriebsamkeit
in der Villa allmählich schwächer, bis das Kommen und Gehen am Eingang, das sie den gesamten Nachmittag über beobachtet hatte, ganz verebbte. Aus dem Flur vor ihrer Tür waren keine Schritte mehr zu hören, und die Villa versank in einen stillen, nächtlichen Schlummer. Das war ihre Chance.
    Leise tapste Prue ins Badezimmer und drehte den Hahn am Waschbecken voll auf, sodass der Wasserstrahl bis auf die weißen Bodenfliesen spritzte. Dann ging sie wieder nach nebenan, stellte sich an die Tür, holte tief Luft und drehte den Knauf. Augen zu und durch , dachte sie.
    Knarrend öffnete sie die Tür auf den langen Flur hinaus. Einige Deckenlampen beleuchteten einen edlen Perserläufer, der von ihrem Zimmer wegführte. Wie erwartet, hielt der Mastiff immer noch am Ende des Korridors Wache. Als er die Tür hörte, blickte er kurz auf. Rauchschwaden wehten von der brennenden Zigarette in seiner Pfote heran.
    »Entschuldigung!«, rief Prue. »Hallo, Sie da!«
    Der Hund, offenbar überrascht angesprochen zu werden, sah sich um. Als er begriff, dass er gemeint war, grummelte er und stieß sich von der Wand ab, an der er gelehnt hatte. »Ja?«
    »Entschuldigen Sie die Störung, könnten Sie vielleicht mal kommen?« , fragte Prue in bester Armes-hilfloses-Mädchen-Manier. »Ich kann das Wasser im Bad nicht abdrehen. Der Hahn ist kaputt, glaube ich. Ich hab Angst, dass es überläuft.«

    Der Hund zögerte, offenbar überlegte er, ob es richtig wäre, zu helfen. Unbehaglich wand er sich in seinem Anzug, der eng an seinem großen haarigen Körper klebte.
    »Bitte«, sagte Prue.
    Mit einem kurzen Schnaufen setzte er sich in Bewegung. Er trat seine Zigarette auf dem Holzboden aus und sagte mit tiefer, barscher Stimme: »Ich bin kein Klempner. Aber ich sehe mal, was ich tun kann.« Als er näher kam, konnte Prue das Abzeichen an seiner Schulter besser erkennen; unter dem Wort SARG war eine von Stacheldraht umwundene Klinge abgebildet.
    Prue bat den Hund herein und folgte ihm Richtung Bad. Als er jedoch ans Waschbecken trat, blieb sie im Schlafzimmer zurück. Der Mastiff drehte kurz am Ventil, und der Wasserstrahl riss ab. Ehe er seinem Erstaunen allerdings auf irgendeine Art Ausdruck verleihen konnte, hatte Prue schon die Badezimmertür zugeknallt.
    »Hey«, rief der Hund. Durch die Tür klang seine Stimme gedämpft.
    Rasch drehte Prue den verzierten Schlüsselgriff herum und hörte das Schloss mit einem schweren Klick einrasten.
    »HEY!«, schrie der Hund erneut, jetzt schon wütender. Hektisch rüttelte er am Türgriff. »Lass mich gefälligst raus hier!«
    »Tut mir leid!« Es war Prue wirklich unangenehm, dass sie den Mastiff hereingelegt hatte. »Tut mir ehrlich superleid. Es kommt sicher bald jemand, um Sie befreien. Neben der Wanne liegt eine
Tüte Studentenfutter, falls Sie Hunger kriegen. Ich muss jetzt los. Nochmals Entschuldigung!«
    Schnell lief sie aus dem Zimmer und hörte, wie das zornige Gebell des Hundes auf dem Flur verhallte. Im Gehen sprach sie ein kurzes Stoßgebet zur Kultdetektivin und Schutzheiligen aller Spürnasen: »Nancy Drew, steh mir bei.«
    Am Ende des Korridors befand sich eine Tür, und als Prue sie öffnete, stand sie vor einem weiteren langen Gang. Er war leer. Vorsichtig setzte sie einen Fuß auf den Teppich, verharrte kurz beim ersten Quietschen der Bodendielen und tapste dann auf Zehenspitzen los.
    Dieser Flügel der Villa schien besonders unbelebt zu sein, und mit jedem Schritt wuchs Prues Zuversicht, nicht erwischt zu werden – bis plötzlich eine Tür aufflog und ein junger Mann mit Brille herauskam, eine Aktentasche und einen Mantel unter

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