Wildwood
stieg voran, öffnete die Käfigtür und kletterte wieder hinunter. Auf sein Nicken hin wurden Curtis die Handfesseln gelöst, und er wurde unsanft nach vorn geschubst. Die Leiter schwankte und bog sich unter seinem Gewicht, während er hinaufkletterte. Als er schließlich den Käfig erreichte, wurde ihm leicht schwindlig: Er befand sich mindestens zwanzig Meter über dem Boden, und überall lagen Felsbrocken, Steine und spitze Stalagmiten herum; keine besonders einladende Aussicht. Nun kam auch der Wärter wieder nach oben, schubste ihn in den Käfig und versperrte die Tür mit einem großen eisernen Vorhängeschloss. Ehe er zurück nach unten kletterte, sah er Curtis an und sagte: »Denk nicht mal an Flucht.«
»Hatte ich auch nicht vor«, gab Curtis zurück.
Diese Antwort schien den Wärter etwas aus dem Konzept zu bringen. »Ach so«, meinte er. »Gut.« Und schon war er die Leiter hinunter verschwunden. Curtis stieß einen verzweifelten Seufzer aus, als sich die oberste Sprosse von den Gitterstäben entfernte. Und dann schwang der Holzkäfig frei durch die Luft, während das Befestigungsseil unter dem Gewicht des neuen Insassen quietschte und ächzte.
Die an jeder Ecke aufgestellten Gaslaternen warfen fahle Lichtkegel auf das Kopfsteinpflaster; dazwischen war die Straße in Schatten gehüllt. Ebendiese Schatten nutzte Prue, um sich darin zu verbergen. Sie wartete hinter einer Regentonne oder einem Briefkasten, während der Vogeldiener – der Enver hieß, wie Prue erfahren hatte, und eine Singammer war – unauffällig vorausflog und die Umgebung von den Dachrinnen und Wetterhähnen der in der Landschaft verstreuten Herrenhäuser auskundschaftete. Wenn Enver dann Entwarnung zwitscherte, huschte Prue aus der Deckung und in das nächste verfügbare Versteck. So kamen sie langsam, aber stetig voran. Aufgehalten wurden sie nur, wenn der unvermeidliche SARG-Transporter
wieder einmal mit heulender Sirene und grell blitzendem Rotlicht um die Ecke bog; dann verharrten Prue und Enver so lange in ihrer Stellung, bis der Vogel überzeugt war, dass sie unentdeckt bleiben würden.
»Ich glaube, wir müssen hier links«, flüsterte Prue laut hinter einer Mülltonne. Enver hockte auf einem Gaslicht, das die Kreuzung beleuchtete. Das Kopfsteinpflaster wurde jetzt allmählich von Erde und Kiefernnadeln abgelöst, da das vornehme Rue-Thurmond-Viertel in die Gegend der kleineren Waldhütten überging, deren moosbedeckte Dächer von überhängenden Tannenzweigen eingehüllt wurden.
»Bist du sicher?« Enver suchte den Horizont ab.
»Nein. Das ist eher geraten.«
»In welche Richtung müssen wir noch mal?«, fragte er.
»Südwestlich der Villa«, sagte Prue. »So wurde es mir gesagt.«
Der Vogel klapperte mit dem Schnabel. »Sekunde.« Er warf einen raschen Blick auf die Kreuzung, und als er sah, dass die Luft rein war, breitete er die kleinen grauen Flügel aus und schoss hinauf; er schraubte sich zwischen den Baumwipfeln empor, bis er nicht mehr zu sehen war.
Prue wartete ruhig ab, den sauren Geruch der Mülltonne in der Nase. In weiter Ferne heulte eine Polizeisirene, und sie erstarrte, als ein kleiner Trupp SARG-Beamter um die Ecke bog und die Rue Thurmond hinuntermarschierte. Verstohlen spähte sie um die
Tonne herum und stellte fest, dass die Männer Vogelkäfige trugen. Zwischen den Metallgitterstäben waren flaumige graue Federn zu erkennen.
Minuten vergingen. Endlich ertönte über ihr das Flattern von Flügeln. Völlig außer Atem landete Enver auf dem Mülltonnendeckel.
»Tut mir leid«, keuchte er. »Ich musste warten, bis sie fort waren.« Er schüttelte einen Flügel aus und beugte sich zu Prue vor. »Ich habe die Villa von oben gesehen. Sie ist noch ziemlich weit weg, aber wir bewegen uns in die richtige Richtung.« Enver deutete mit dem Schnabel in den Himmel; es war eine klare Nacht, deren Schwärze mit funkelnden Punkten gesprenkelt war. »Den Sternen nach zu urteilen, liegt Südwesten genau geradeaus.«
»Super«, raunte Prue. »Dann nichts wie weiter.«
»Warst du da schon mal?«, fragte er. »Weißt du, wie es aussieht?«
»Nein, aber ich glaube, wir erkennen es dann schon«, sagte Prue und fügte hinzu: »Eigentlich sieht doch jedes Postamt gleich aus.« Daraufhin nickte Enver und flog davon, um sich einen neuen Ausguck zu suchen, von dem aus er Prue zu ihrem nächsten Versteck leiten konnte.
VIERZEHN
Unter Dieben
I ch bestehe darauf, mit einem Anwalt zu sprechen!« Die Stimme des Kojoten
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