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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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bin selbst noch nie so tief im Bau gewesen. Hab aber Geschichten gehört – es heißt, hier unten gibt ’s Wesen, die noch nie das Tageslicht gesehen haben. Wesen, die es kaum erwarten können, ihre Zähne in ein Stück saftiges Fleisch zu hauen.«
    »Saftiges Menschen fleisch«, ergänzte ein anderer.
    »Ratten werden an Ratten verfüttert«, sagte einer. »So machen wir das hier mit Überläufern.«
    »Kommt schon, lasst mich einfach frei«, schlug Curtis vor. »Es muss ja niemand erfahren – ich mache mich einfach auf den Weg und …« Die Worte blieben ihm im Halse stecken, als die Kojoten um eine Ecke bogen und der Gang sich in einen riesigen Raum öffnete – und Curtis die Käfige sah.

    »Oh«, sagte er tonlos. »Oh Mann.«
    Der Raum sah aus wie eine natürlich gebildete Höhle: Der Boden war uneben und voller Geröll und Steine, und die Wände zogen sich ungleichmäßig von der hohen Decke herab, doch das war bei Weitem nicht das Auffälligste daran. Was Curtis’ Aufmerksamkeit sofort bannte, waren die dicken, verdrehten Wurzeln, die von dort oben herabhingen – was für ein Baum musste das sein! –, und die unheimliche Ansammlung wackeliger Holzkäfige, die daran baumelten. Die Gitterstäbe waren aus Ahornzweigen gemacht, die nach oben hin zusammenliefen; sie sahen aus wie Vogelkäfige im Haus eines Riesen. Mit schweren Hanfseilen befestigt, schaukelten die Käfige an den Wurzeln hin und her und gaben ein wimmerndes Quietschen von sich. Curtis machte hinter den Gitterstäben einige Gestalten aus; die Käfige schienen groß genug, um mehreren armen Teufeln Platz zu bieten, aber manche waren auch ganz leer. Er hatte keine Zeit, sie zu zählen, doch es mussten Dutzende von Käfigen sein.
    »Wärter!«, rief einer seiner Bewacher, und ein aufgedunsener, ergrauter Kojote tauchte hinter einem zerklüfteten Felsen auf. An einer Kordel um seinen Hals hing eine imposante Auswahl an Schlüsseln aller Größen und Formen. Während er angeschlurft kam, murmelte er eine eintönige Litanei vor sich hin:
    »Lass die Hoffnung fahren, Gefangener, lass alle Hoffnung fahren. Die Gitterstäbe der Käfige: undurchdringlich. Die Schlösser: unzerbrechlich. Die Entfernung zum Boden: unüberwindlich. Lass
die Hoffnung fahren. Lass alle Hoffnung fahren.« Zwischen den Sätzen schniefte er, während er kaum von der Erde aufblickte. Entsetzt stellte Curtis fest, dass überall ausgebleichte, zersplitterte Knochen ehemaliger Gefangener verstreut lagen, die offensichtlich zu Tode gestürzt waren.
    »Ja, ja, wir wissen’s«, sagte der Kojote ungeduldig, der Curtis am Arm festhielt. »Schluss mit dem unheilvollen Geschwätz. Wir haben hier einen Verräter. Häng ihn hoch rauf.«
    Da ertönte aus einem der Käfige über ihren Köpfen eine Stimme: »Was? Ist das etwa noch ein Zweibeiner? Dachte, das hier wär ein reiner Kojotenbunker.«
    Curtis hob den Kopf und entdeckte eine Kojotenschnauze, die zwischen den Stäben eines in der Nähe hängenden Käfigs hervorragte.
    »Ruhe!«, brüllte der Wärter.
    Von noch weiter oben ließ sich eine eindeutig menschliche Stimme vernehmen. »Dafür werdet ihr Schakale bezahlen! Das schwöre ich!« Durch den Knoten der verzweigten Wurzeln konnte Curtis den Sprecher aber nicht erkennen.
    »Seht ihr?!«, schimpfte der Kojotengefangene. »Habt ihr das gehört? Ich bin ein Soldat und hier zusammen mit Räuberabschaum eingepfercht! Ich dachte, das wäre ein Militärgefängnis!«
    »RUHE!«, donnerte der Wärter erneut. »Sonst kommt ihr alle in Ketten.«

    Der Räuber fühlte sich jetzt offensichtlich ermutigt und begann zu rufen: »Freiheit für Wildwald! FREIHEIT FÜR WILDWALD!« Einige andere Gefangene, offenbar auch Räuber, standen in ihren Käfigen auf, stimmten mit ein und schrien und rüttelten an ihren Gitterstäben.
    Der Wärter seufzte und ging auf Curtis zu. »Munterer Haufen«, sagte er, ohne sich weiter um den Lärm zu kümmern. »Du wirst die Gesellschaft bestimmt genießen.«
    Während Curtis weiterhin festgehalten wurde, ging der Wärter zur Wand hinüber und holte die wahrscheinlich längste und klapprigste Leiter, die Curtis jemals gesehen hatte. Er schleppte sie aufrecht in die Mitte des Raums, wobei er die obersten Sprossen vorsichtig zwischen dem Wurzelgeflecht hindurch manövrieren musste. Schließlich hakte er sie oben in den Gitterstäben eines leeren Käfigs ein und stützte den unteren Teil mit einem großen Stein auf dem Boden ab.
    »Dann mal hoch«, sagte der Wärter. Er

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